Einmal kurz hinter dem Erzgebirge, jenseits der deutsch-tschechischen Landesgrenze, liegt das westböhmische Bäderdreieck Karlsbad/Marienbad/Franzensbad, seit Jahrhunderten Destination für Kur-Tourismus. Lebensmittelmagazin.de probiert das Heilwasser in Karlsbad.
In den opulenten Wandelhallen, den prächtigen Mühlbrunnkolonnaden „Mlýnská kolonaden“, prangen in goldenen Lettern in bestem humanistischen Latein auf einer Marmortafel folgende Sätze:
„Zu den Thermen Karls IV
Quelle, die du mit Recht von der Schar der Musen gefeiert wirst,
woher kommen dir die warmen Wasser, die Ströme,
die schwefeln, oder – wunderbar zu sagen – von lebendigem Kalk durchzogen sind?
Durch die Erde? Wie das Feuer, das unten den Ätna schürt?
Oder wirkt vielleicht die Nähe des stygischen Pluto-Reichs dies Wunder?
Diese Wasser hat er geöffnet – mögen die Gestade von Baiae weichen!
Und nun blickt die Welle hin zum Antenoreischen Teyn,
und zum blauen Rhein, der nahe aufsteigt,
geadelt durch dich, heiligster unter den Königen, Karl!
Sieh, wie viele Blasen sie in die Luft sendet!
Schau, wie bunt sie Steine und Marmor färbt,
wohin sie auch fließt! Kaum selbst die Iris glänzt in so vielen Farben.
Glücklich fließe du durch die Jahrhunderte,
heilige Quelle, dem Menschengeschlecht heilbringend!
Gib dem Greis die verlorene Kraft zurück,
verleihe dem schüchternen Mädchen ein schönes Antlitz,
heile alle Krankheiten,
und wer immer seine müden Glieder in dieses Wasser taucht,
kehre freudiger in seine Heimat zurück.”
Um direkt beim Mythos zu bleiben: Der Legende nach war es eben jener hymnisch bejubelte Karl IV., der die Heilquellen entdeckte, nachdem er einem verletzten Hirsch nachsetzte, der in dem warmen Quellwasser Linderung suchte. Nach persönlicher, königlicher Verkostung, bestätigte Karl IV die Heilkraft und ließ 1370 an der Stelle, wo der Hirsch sich erholte, eine Siedlung gründen: Karlsbad „Karlovy Vary“.
Kurort für Elite
Im 18. und 19. Jahrhundert wurde Karlsbad zum Treffpunkt der europäischen Elite. Goethe kam, ebenso Beethoven, Chopin, Wagner, Peter der Große und Zar Alexander I. Ärzte empfahlen die Trinkkur gegen fast alles, was die moderne Zivilisation hervorbrachte: Gicht, Verdauungsstörungen, Melancholie. Zusammen mit Marienbad und Franzensbad bildete Karlsbad das westböhmische Bäderdreieck, dass auch noch heute Kurtouristen aus aller Welt anzieht.
Aus bis zu 2000 Metern Tiefe dringt dort im Tal des Flusses Teplá heißes, mineralhaltiges Wasser an die Oberfläche. Die Mineralquellen unterscheiden sich in Temperatur, Geschmack und Zusammensetzung. Die Stadt zählt über 80 dieser Quellen, von denen 13 traditionell für die populäre Trinkkur (Pitná kúra) genutzt werden. Diese Kur ist die wichtigste und älteste Anwendung des Karlsbader Wassers. Das Besondere: Es handelt sich um ein natürliches, stark mineralisiertes Natrium-Hydrogencarbonat-Sulfat-Thermalwasser, das direkt aus dem geologischen Sprudelfelsen (Zřídelní zlom) aufsteigt. Der Hauptquell, der Vřídlo (Sprudel), erreicht eine Temperatur von bis zu 72°C. Die Quellen werden in drei Temperaturgruppen unterteilt: warm (30–40 °C), heiß (40–50 °C) und sehr heiß (über 60 °C). Je heißer das Wasser, desto höher der Gehalt an gelösten Mineralstoffen. Chemisch betrachtet handelt es sich um stark mineralisierte Thermalquellen, deren Ursprung im geologisch aktiven Böhmischen Massiv liegt.
Heilwasser unterliegt Arzneimittelgesetz
Grundsätzlich gilt Heilwasser nicht wie Mineral-, Quell- und Tafelwasser als Lebensmittel, sondern als Arzneimittel. Heilwasser ist ein natürliches Mineralwasser aus geschützten, unterirdischen Quellen, dessen mineralische Zusammensetzung wissenschaftlich nachgewiesen eine heilende, lindernde oder vorbeugende Wirkung entfalten kann. Es gilt als anerkanntes Naturheilmittel und muss in Deutschland als Arzneimittel zugelassen werden, weshalb es dem Arzneimittelgesetz unterliegt. Dafür muss es eine amtliche Prüfung und ärztliche Begutachtung durchlaufen, die seine Wirksamkeit und Unbedenklichkeit bestätigen. Heilwasser darf weder verändert noch behandelt werden und wird therapeutisch eingesetzt – etwa zum Trinken, Inhalieren oder Baden –, um Stoffwechsel, Verdauung oder Kreislauf zu unterstützen.
Heute wird das Karlsbader Wasser regelmäßig analysiert. Es enthält eine komplexe Mischung aus Natrium, Kalzium, Magnesium, Sulfat und Kohlendioxid. Medizinisch gesichert ist seine Wirkung auf den Verdauungstrakt und den Stoffwechsel – das Wasser kann die Magensäure neutralisieren, die Galleproduktion anregen und den Blutzuckerspiegel regulieren.
Die Trinkkur wird daher traditionell bei Erkrankungen des Verdauungssystems, Stoffwechselstörungen, Diabetes, Gicht sowie bei Problemen der Nieren und Harnwege und des Bewegungsapparates eingesetzt. Der Trinkkur liegt nach ärztlicher Absprache ein genaues System zugrunde – wann, wie oft, aus welcher Quelle. Doch über die Chemie hinaus wirkt hier ein anderer Faktor: das Ritual selbst. Wer sich auf die Trinkkur einlässt, verlangsamt sich. Drei Mal täglich geht man von Quelle zu Quelle, trinkt kleine Schlucke, hält inne. Die Stadt wird zur Bühne der Achtsamkeit.
Unverzichtbares Souvenir – der Porzellantrinkbecher
Nahezu unverzichtbar erweisen sich beim Prozedere jene Porzellantrinkbecher mit integriertem Trinkhalm im Henkel, die es in mannigfaltigen Varianten und Dekoren, oftmals herrlich kitschig, an allen Ecken und Enden der Stadt in Büdchen und Souvenirshops käuflich zu erwerben gibt. Man befüllt sein Miniaturkännchen an den unablässig-sprudelnden Quellen und trinkt dann langsam aus der Tülle das warme Wasser Schlückchen für Schlückchen. Abgesehen von der Temperatur unterscheiden sich die Quellen auch durchaus geschmacklich, vom leichten eigentümlichen Nachgeschmack bis hin zur stark mineralisch schon eingetrübten Variante, gibt es auch einige Quellen deren Wasser dank natürlicher Kohlendioxidvorkommen prickelt. Teilweise liegen diese Quellen nur wenige Meter auseinander. Drei Millionen Liter Heilwasser dringen so tagtäglich an die Erdoberfläche mit insgesamt 18 Tonnen Mineralsalzen.

Foto: Johannes S.
Ein sichtbares Zeichen der extrem hohen Mineralisierung ist das Phänomen der Sinterbildung. Das Wasser setzt beim Austritt ständig Calciumcarbonat (CaCO3) ab. Dieses Sediment, das in der Natur als Quellstein oder in der typischen Karlsbader Rose erstarrt, ist nicht nur die Grundlage für traditionelle Souvenirs, sondern erfordert auch einen ständigen Austausch der Rohre in den Zuleitungen der Kolonnaden, da diese durch die Ablagerungen verstopfen.
Kathedralen des Wassers
Die Quellen liegen geschützt unter prachtvollen Wandelhallen, den sogenannten Kolonnaden, welche die Kurgäste vor Wind und Wetter schützen sollen. Die eindrucksvollste ist die Mlýnská kolonáda, die Mühlbrunnenkolonnade, erbaut zwischen 1871 und 1881 im Pseudo-Renaissance-Stil nach Plänen von Josef Zítek. 124 korinthische Säulen tragen ihr Dach, darüber stehen zwölf Figuren, die die Monate des Jahres darstellen. Unter ihr entspringen fünf Quellen, darunter die Rusalka-Quelle, benannt nach der Wasserfee aus der slawischen Mythologie, die Dvořák zu seiner Oper „Rusalka” inspirierte.

Foto: Johannes S.
Ganz anders wirkt die hölzerne Tržní kolonáda, die Marktkolonade im Schweizer Stil. Hier klingt das Wasser gegen die geschnitzten Ornamente. Ihre weißen Schnitzereien erinnern an ein Alpendorf, doch im Inneren sprudelt die Quelle Karls IV., der der Sage nach hier geheilt wurde.

Foto: Johannes S.
Über allem steht die moderne Vřídelní kolonáda aus Glas und Beton, die den 73 Grad heißen Sprudel umschließt – den mächtigsten und bekanntesten Geysir der Stadt. Hier schießt das Wasser mit einer Temperatur von 72 °C und einer Höhe von bis zu 12 Metern aus der Tiefe, pulsierend, dampfend, vor allem imposant. Besucherinnen und Besucher versammeln sich davor wie vor einem Altar. Der Schwefelgeruch liegt in der Luft, Dampf zieht durch das Glasdach, Tropfen glitzern im Licht.

Foto: Johannes S.
Heilquellwasser in Lebensmitteln
Die Heilquellen dienen nicht nur der reinen Trinkkur, sondern haben auch kulinarische Spuren hinterlassen: zum einen wird das Wasser der Hauptquellen, darunter das Vřídlo und der Mühlbrunnen (Mlýnský pramen), seit Jahrhunderten abgefüllt und so schon im 19. Jahrhundert in Flaschen oder Steinzeugkrügen in die ganze Welt verschickt.
Für Karlsbader Oblaten, große, runde Waffelschnitten mit süßer Füllung, wird im Teig Heilwasser aus Karlsbad verwendet. Alle paar Meter entlang der pittoresken Einkaufsstraßen findet man eine Waffelbäckerei, die einem den köstlichen Snack frisch aufbäckt. Ob als Nascherei oder Abhilfe bei der Trinkkur, aus subjektiver Erfahrung lässt sich berichten, dass der Genuss des Heilwassers auf nüchternen Magen nicht immer sehr bekömmlich ausfällt und eine Waffel im Bedarfsfall Abhilfe schafft. Im Café der Vřídelní kolonáda serviert man auch einen Sprudelkaffee, der nicht nur mit dem Heilwasser aufgebrüht wird sondern auch mit Schlagsahne und dem lokalen Schnaps Becherovka verfeinert wird.
Und wenn man schon bei dem Thema ist: in Karlsbad auch lokales, mit Heilwasser gebrautes Bier, lässt sich trinken, etwas salzig im Abgang, aber bestimmt auch sehr gesund.
Zum Abschluss ein Thermalbad
Man findet Karlsbad auch das Angebot in eben jenem Bier ein Bad zu nehmen. Denn auch dafür ist das Heilwasser in Karlsbad bekannt: neben dem Trinken trat das Baden in den Fokus – das „Karlsbader Bad“ wurde als Inbegriff des wohltuenden Thermalbades in alle Welt exportiert. Selbst der Karlsbader Sprudelstein, eine Ablagerung aus den Mineralien des Wassers, wurde als Souvenir und heilversprechenden Badezusatz geschätzt. Und so prägen nicht nur die Kolonnaden das Jugendstil-satte Stadtbild, sondern auch die Vielzahl an Badehäusern und Grandhotels mit Wellnessangebot. Und es fühlt sich fantastisch an, in den trübgrünen Fluten des 38 Grad Celsius warmen Thermalwasserbeckens des Hotel Thermal das Panorama der Stadt zu genießen während um einen herum die Mineralflöckchen wirbeln. Da kann man nur gesund bleiben oder werden.
Aber wie sollte man den Geschmack des Wassers beschreiben? Etwas salzig, metallisch, leicht muffig, aber hervorragend, wenn man vor Ort ist.
