Sie stehen als ultimative Soßensauger für die böhmische Küche, wie kaum ein anderes Lebensmittel. Dabei ist der Name etwas irreführend, denn anders als die Erde, ist der böhmische Knödel eine Scheibe.
Puffig-fluffig wie ein Chinchillamuff liegen die Scheiben des böhmischen Knödels, „Knedliky“, am Tellerrand neben den typisch tschechischen, deftigen Fleischgerichten: wie das Nationalgericht Svíčková na smetaně, Rinderlende in Sahnesoße, aber auch zu Schweinebraten, Gulasch, Rouladen, gerne auch winterlich mit Wild oder Entenkeule an Rotkohl. Hauptsache viel Soße, die der böhmische Knödel aufnehmen kann wie ein Schwamm.
Herrschaftliche Gaumenfreuden
Helmut Müller ist Inhaber und Hotelier des beschaulichen Schlosshotels Zamek in Zdikov, einem Städtchen im südlichen Böhmerwald unweit der bayerischen Grenze. In der Schlossküche werden für die Gäste beste böhmische Gerichte zubereitet, und natürlich böhmische Knödel dazu. „Die sind hier bei uns Standardbeilage zu jedem Fleischgericht mit Soße dazu, wie etwa Svíčková mit Rahmsoße oder Gulasch. Grundlage der Knödel ist ein Hefeteig, der angereichert wird mit Eiern und eventuell klein geschnittenem Semmelstückchen. Als Rollen werden sie klassisch im Dampf gegart. Gut, sie sind etwas aufwändig. Sowas kocht man dann für die Familie eben nicht unter der Woche, sondern sie kommen eher sonntags auf den Tisch. Auf der anderen Seite bekommt man sie in Tschechien im Lebensmitteleinzelhandel auch schon sehr praktisch als Convenience-Produkt, so dass es zu Hause auch klappt, wenn es schnell gehen muss.”

Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Von der Rolle
Knödel, ob aus Hefeteig, Kartoffeln, Brötchen, Quark oder wenn man Buletten auch noch dazu zählt, eint vor allem eine Tatsache: Sie sind rund wie ein Ball. Dies gilt nicht für böhmische Knödel. Der Teig wird vor dem Dämpfen oder dem Kochen in Salzwasser zu dicken Rollen geformt. Zum Servieren werden dann hiervon fingerdicke Scheiben heruntergeschnitten. Was heißt geschnitten? Das Risiko mit dem Küchenmesser und falscher Schnitttechnik die Knödelscheiben zu zerdrücken, zu quetschen oder sonst wie unangenehm zu komprimieren, sodass sie ihre Luftigkeit verlieren, ist viel zu groß. Deshalb werden die fertigen Rollen mit Küchengarn (oder ungewachster neutraler Zahnseide) in Scheiben abgeteilt.


Fotos: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Auch süße Varianten sind in Tschechien beliebt: mit Mohn, Zucker und zerlassener Butter bestreut oder mit Obst gefüllt. Eine Mitarbeiterin vom Museum im böhmischen Dorf mitten in Berlin-Neukölln erinnert sich dazu am Telefon: „Als mein Vater aus der russischen Kriegsgefangenschaft zu uns zurück nach Hause kam, war seine erste Mahlzeit böhmische Knödel mit Pflaumenfüllung. Davon hat er 20 Stück gegessen und konnte gar nicht mehr aufhören, so ausgehungert war er danach.”
Traditionsreicher Nationalstolz
Die Wurzeln des böhmischen Knödels reichen tief ins Mittelalter zurück. In Zeiten, als Brot ein Grundnahrungsmittel war und nichts verschwendet werden durfte, entwickelten sich in Böhmen verschiedene Varianten des „Knedlík“. Anfangs handelte es sich oft um einfache Mehl- oder Brotteige, die in Wasser gegart wurden. Die ersten schriftlichen Hinweise auf böhmische Knödel, die da noch šiška hießen statt dem aus dem deutschen „Knödel” entlehnten „Knedliky”, stammen aus dem 13. und 14. Jahrhundert. In den Klöstern und später auch in den bürgerlichen Küchen Böhmens waren sie zunächst eine praktische und nahrhafte Beilage: Brotteig oder Mehlteig wurde zu Kugeln oder Rollen geformt und in Wasser gekocht.
Im 17. Jahrhundert entwickelte sich daraus die klassische Form des böhmischen Knödels, belegt durch erhaltene Rezepte, meist als längliche Rolle zubereitet, in Scheiben geschnitten und serviert. Besonders im 19. Jahrhundert, mit der Verfeinerung der Mehl- und Hefeherstellung, wurden die Knödel leichter, luftiger und kulinarisch bedeutender. Während der österreichisch-ungarischen Monarchie erlebte der böhmische Knödel einen wahren Siegeszug. In der kaiserlichen Küche galt er als Delikatesse und erlangte dadurch über die Grenzen hinweg Popularität. Auch heute findet man ihn noch in vielen mitteleuropäischen Speisekarten.
Andererseits muss aber auch nach einer Woche Rundreise durch den Böhmerwald in Tschechien festgestellt werden: so köstlich das Essen überall war – böhmische Knödel findet man längst nicht in jedem Restaurant mit tschechischer Küche, denn ihre Zubereitung ist durchaus mit gewissem Aufwand verbunden.
Artikel-Teaserbild (oben): Johannes – lebensmittelmagazin.de