Für die einen sind sie eine Delikatesse, für die anderen kurz vor der Dschungelprüfung. Dabei gehören Schnecken von Anbeginn der Menschheit auf den Speiseplan. Lebensmittelmagazin.de macht eine Landpartie zu den schleimigen Hausbesitzern.
„Schlüpfrige Scheißerchen!” – Unvergessen ist eine der lustigsten Stellen im 90er Jahre Kitsch-Film „Pretty Woman”, wenn Julia Robert sich mit Escargot und passender Zange im Luxus-Restaurant einen abbricht, bis die Molluske im hohen Bogen durch die Luft fliegt und vom livrierten Kellner gefangen wird. Das war Anfang der Neunziger des vorherigen Jahrhunderts. Und heute? Ein südafrikanischer Bekannter erinnert sich: „Wenn man früher in Südafrika in ein deutsches oder französisches Restaurant ging, freute man sich auf Escargot zur Vorspeise. Sie standen quasi für europäische Kochkunst. Dementsprechend irritiert war ich, als ich das erste Mal in Deutschland war und es weit und breit keine Schnecken auf der Karte gab.“

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Küchenklassiker
Dabei gehören Schnecken bereits seit der Jungsteinzeit auf den Speiseplan. Römer und Griechen schätzten sie sehr als Delikatesse und in der christlichen Seefahrt wurden sie kühl in Fässern gelagert und an Bord mitgenommen, da sie über Wochen hinweg als frische und haltbare Proteinquelle dienten.
Aus denselben Gründen versorgte sich die Landbevölkerung für ihren Proteinbedarf in Kriegszeiten mit frei in der Natur gesammelten Schnecken. „Sie galten schon vorher als Arme-Leute-Essen, einfach zu fangen und hervorragendes proteinreiches, dabei fettarmes Nährstoffprofil”, erklärt Carmen Kalkofen, Landwirtin und Schneckenzüchterin. Gleichzeitig weist sie aber darauf hin: „Weinbergschnecken in der Wildnis stehen unter Naturschutz und dürfen keinesfalls gesammelt und verzehrt werden.”
Wobei dies nur für die heimische Weinbergschnecke Helix Pomatia gilt. Ihre südländische Verwandte, die Helix Aspersa Müller, findet man hier gelegentlich auch, sie steht aber nicht unter Naturschutz, obwohl sie die hiesige feuchtkalte Winterwitterung schlechter verträgt als die Pomatia. Beide unterscheiden sich darin, dass die Pomatia ein weißes Fleisch hat, während die Aspersa Müller einen dunklen Rand hat. Deswegen heißt sie im französischen auch Petit gris, die kleine Graue. Großer Vorteil von ihr ist, dass sie innerhalb eines Jahres Schlachtgröße hat, während die Pomatia dafür drei Jahre benötigt. Auch wenn Aspersa Müller gelegentlich auch hier auftaucht, müssen die Schneckenfarmer darauf achten, dass die nicht heimische Art nicht ausbüchst.
Kompost statt Salat
Draußen auf dem Feld herrscht schwüler Niesel. „Bestes Schneckenwetter!”, meint Carmen Kalkofen. Zwischen den blühenden Rettichpflanzen auf den insgesamt ein Hektar großen Parzellen wuseln rund eine Million Weinbergschnecken in aller Gemütsruhe. Dabei sind die Pflanzen im allerbesten Zustand, kein Vergleich zum Schneckenfraß im heimischen Garten. Die Schneckenflüstererin erklärt dazu: „Die Rettichpflanze ist gar nicht nach ihrem Geschmack, aber sie bietet ihnen Schatten und hält die Feuchtigkeit zurück. Sowieso sind diese Weinbergschnecken weniger an frischem Grün interessiert. Sie sind Moderfresser, also lieber Kompost als frischer Salat.”

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Für Carmen Kalkofens Schnecken gibt es Weizenschrot und Kartoffelscheiben, die auf Holzbrettern verstreut sind und über die sich die Tiere hermachen. Die Haltungskosten von Schnecken sind sehr überschaubar, vor allem im Vergleich zu den Lohnkosten. Auch Faktoren wie Trockenheit im Sommer vertragen die Schnecken im Zweifelsfall ganz gut, auch wenn die Parzellen mit Wassersprüher minimal feucht gehalten werden. „Bei Trockenheit graben sie sich in den Boden und fallen in Hungerstarre. So haben die Jahrmillionen überlebt”, gibt Carmen Kalkofen zu bedenken.

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Mit Haus und Schleim
Seit zwei Jahren erforschen die Landwirte in Kooperation mit der Hochschule Anhalt und der Europäischen Innovationspartnerschaft für Produktivität und Nachhaltigkeit in der Landwirtschaft die ganzheitliche Nutzung der Schnecken, inklusive Schleim, Haus und Fleisch. So wurde beispielsweise erforscht, inwieweit Schneckenhäuser als Basis für den Rohstoff Chitosan dienen können. Der Schneckenschleim findet Anwendung in der Kosmetik. Und auch wenn Escargot a la Bourguignon, inklusive köstlicher Schneckenbutter, mit Petersilie, Zwiebel und Knoblauch, ein Klassiker der gehobenen Küche ist, so haben die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Hochschule Rezepturen entwickelt, die Verbraucherinnen und Verbraucher den Zugang zu Schnecken vereinfachen sollen. Herausgekommen ist ein Schneckenragout mit Steinpilzen, sowie zwei Pasteten, mit Tomate und Paprika bzw. Majoran.
Dabei ist Schneckenfleisch per se recht schmackhaft, das Fleisch ist fest, keine Spur vom Schleim und der Geschmack ist frisch-erdig. Optimaler Schlachttermin der Tiere ist im Winter oder im frühen Frühjahr, wenn die Tiere das Schneckenhaus mit einem Kalkdeckel verschlossen haben. Ansonsten sammelt sich das Calcium im Fleisch, was es etwas unangenehm zum Essen macht.
Die Schlachtung ist bei den Tieren von jeweils sechs bis acht Gramm im Verhältnis recht aufwändig, wie die Landwirtin erklärt: die Tiere werden gesammelt, drei bis vier Tage in Isolation sorgen für die optimale Entleerung. Kochendes Wasser im ausreichend großen Topf macht den unmittelbaren Garaus, nicht zu vergleichen mit Hummer und seinem Chitin-Panzer.
Erst dann wird die Schnecke zerteilt. Essbar sind Muskel und Leber. Die Schleimdrüse und die Geschlechtsorgane müssen entfernt werden, sie wären unangenehm beim Verzehr.
Beim Stichwort Geschlechtsorgane gibt es noch den interessanten Fun-Fact: Es gibt keine männlichen und weiblichen Schnecken, sondern es sind Zwitterwesen. Erst beim Akt wird festgelegt, wer befruchtet und wer die Eier austrägt.
Dementsprechend freut sich Carmen Kalkofen über den Nachwuchs ihrer Schnecken. Die ersten 300 Tiere kaufte sie in Wien beim Züchter. „In Deutschland gibt es nahezu keine Schneckenzüchter mehr. In Ländern wie Frankreich oder eben Österreich und Südosteuropa werden Schnecken mehr goutiert als bislang hier”, meint Carmen Kalkofen.
Regionale Spezialität?
Ihre Schneckenzucht hat die Forschungsphase erfolgreich absolviert und könnte jetzt wirtschaftlich realisiert werden. Pläne für ein Schlachthaus liegen vor. Aber es bedarf eines bürokratischen Kraftaktes verbunden mit behördlichen Genehmigungen, damit die Ergebnisse des erfolgreichen Experiments auch umgesetzt und richtig an den Start gehen können. Bis dahin kann man sich telefonisch bei der Schneckenzucht Altmark melden und persönlich vorbeikommen. Anleitungen zur korrekten Zubereitung gibt es dazu. Schnecken als regionale Delikatesse aus Brandenburg – schmeckt besser, als man denkt.
Artikel-Teaserbild (oben): Johannes – lebensmittelmagazin.de