Das Loiretal im benachbarten Frankreich ist nicht nur berühmt für seinen Wein, sondern ebenso für seine Schlösser. Eins von ihnen, das Château de la Bourdaisière, beheimatet das Nationalkonservatorium für Tomaten. Lebensmittelmagazin.de berichtet aus dem Urlaub.
Brandywine pink, Egyptian Tomb, Sundrop, Teton de Venus jaune – allein die Namen der Tomatensorten klingen verheißungsvoll. Hinzu kommen Farben, die nahezu das gesamte Spektrum mit Ausnahme von Blautönen umfassen, von schwarz anmutenden und auberginefarbenen, über pink, rot, orange, gelb bis zu den ausgereift grünen. Diese gibt es allesamt noch getigert, bi- und multicolor und überdies in allen möglichen Formen wie Birnen, Herzen und Flaschen, kleinen Perlen und überdimensionalen fleischigen Ochsenherzen.
Bauliche Schutzmaßnahmen
Zu den zahlreichen Schlössern, die das Loiretal zu einem der romantischsten Destinationen in Frankreich machen, gehört das Château de la Bourdaisière bei Montlouis-sur-Loire. Ursprünglich wurde das Schloss im 14. Jahrhundert als Festung gegen englische Angriffe zum Schutz der benachbarten Stadt Tours errichtet. Davon zeugen bis heute der Burggraben und ein übrig gebliebener Eckturm. Der prachtvolle Anblick heutzutage stammt aus der Neorenaissance des 19. Jahrhunderts.

Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Nachdem es zuletzt als Altenheim lange Zeit leer stand, erwarb Prinz Louis Albert de Broglie Anfang der 90er Jahre das Schloss. „Auch wenn der Stammsitz der Broglie in der Normandie liegt, so verbinden ihn viele familiäre Verflechtungen im Laufe der Jahrhunderte mit diesem Schloss und nicht zuletzt die in der hiesigen Gegend verbrachte Zeit in seiner Jugend, etwa bei der Tante auf Schloss Cheaumont”, erklärt Cyrille Brayé-Lécureuil, Generaldirektor des Châteaus de la Bourdaisière, dass auch ein schönes Hotel in seinen Gemäuern beherbergt, französisches Frühstück im herrschaftlichen Interieur inklusive.
Royale Freuden
Der auch als “Prince Jardinier”, Gärtnerprinz, bekannte Bankier erweckte die ehemaligen Gärten, die zwischen dem 16. und 18. Jahrhundert von den damaligen Schlossbesitzern, der Familie Babou, angelegt worden waren, zu neuem Leben.
Im Gegensatz zu deren Weinbergen und Maulbeerbaumplantagen kultiviert der Prinz in den Schlossgärten fast ausschließlich Tomaten. Bereits 1998 wurde die Sammlung vom *Conservatoire des Créations Végétales Spécialisées* als Nationalkonservatium für Tomaten anerkannt. „Es mag in Südfrankreich Sammler geben, die wahrscheinlich über mehrere Parzellen verteilt eine weitaus größere Sammlung haben. Immerhin gibt es 12.000 bis 15.000 Varietäten weltweit, wobei sich viele Sorten darunter dabei sehr ähneln.”
Für die hat der Prinz nicht nur eine kulinarische Vorliebe, sondern schätzt sie auch als eine der weltweit meistverbreiteten Früchte. Mit seinem Schwerpunkt auf Natur, Kunst und Bildung schuf der Prinz 1994 den Tomatengarten mit Anfangs zehn Varietäten, mit der Absicht, diesen öffentlich zugänglich zu machen.
Unterricht im Garten
Der Tomatengarten von Château de la Bourdaisière bietet seinen Besucherinnen und Besuchern einen niedrigschwelligen Zugang zur prachtvollen Vielfalt dieser weltweit geschätzten Früchte, zu denen Tomaten eigentlich gehören. So kommen also nicht nur Gartenfreunde und Botaniker, sondern auch Jugendgruppen. Der Prinz lädt beispielsweise im Rahmen eines sozialen Projekts benachteiligte Jugendliche auf das Schloss ein, um hier Erfahrungen für ihr weiteres Fortkommen sammeln zu können.
Daher wurden bei Struktur und Aufbau des Gartens eher ästhetische und didaktische Gesichtspunkte berücksichtigt, als streng wissenschaftliche. So stehen die Sorten auf den Tafeln der zeltförmigen Spaliere unter ihrem Trivialnamen, statt ihrer botanischen Bezeichnung auf lateinisch. Innerhalb der Beeten nach Gruppen sortiert, hier und da mit zusätzlichen Informationen wie beispielsweise bei den Ochsenherzen: „Bei den Sorten „Coeur de Boeuf“ handelt es sich um sehr pralle Früchte mit wenigen Kernen. Sie sind meist herzförmig, es gibt aber auch Früchte in Form einer abgeflachten oder gerippten Spitze. Die anfangs verkauften Coeur de Boeuf-Tomaten sind oft sehr feste Hybriden mit dicker Schale, im Gegensatz zu den alten Sorten mit dünner Schale, die sich nicht gut halten.”
Kreuzungsrestrisiko
Nicolas Toutain ist Hauptgärtner in den Gärten von Château de la Bourdaisière, die er zusammen mit zwei weiteren Gärtnern ökologisch bewirtschaftet. Die Pflanzen werden in den eigenen Gewächshäusern vorgezogen und dann im Frühsommer als junge Pflanzen in den Garten gesetzt.
Aktuell sind es 785 Sorten, die der Prinz durch Kooperationen mit Organisationen wie „Kokopelli“ und „Terres de Semences“ sowie durch den Austausch mit professionellen und Hobbygärtnern weltweit. einsammelt

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Auf die Frage, wie sie dafür sorgen, dass sich die vielen unterschiedlichen Sorten nicht untereinander kreuzen und rückkreuzen, erklärt Nicolas Toutain: „Tomaten sind zu 95 Prozent Selbstbestäuber. Dafür benötigt es lediglich ein kleines bisschen Wind, keine Insekten. Für die übrigen fünf Prozent Kreuzungs-Restrisiko sorgen wir Gärtner.”
Für den Gärtner bedeutet dies langsam das Ende der Fahnenstange mit dem Ausbau des Gartens. „Wir können in diesem Garten bis zu 800 Varietäten anpflanzen. Im Sinne der Fruchtfolge können wir aber nicht Tomate auf Tomaten pflanzen, sondern müssen dazwischen auf andere Gemüsesorten ausweichen, so dass man das ganze Jahr über nicht nur Tomaten, sondern auch Wintergemüse oder auch aktuell Gemüse wie Mangold, Hülsenfrüchte Mais und vieles mehr hier im Garten vorfindet. Seit Ende Juli läuft die Erntezeit für die Tomaten, wobei die einzelnen Sorten bis Ende September sukzessive reifen. Bis zum Ende der Saison erwarten die Gärtner drei bis vier Tonnen Ernteertrag an Tomaten.
Kulinarische Festivitäten
Dreimal im Jahr wird auf dem Château de la Bourdaisière ein Festival gefeiert, wie beispielsweise Mitte kommenden Monats das Festival de la Tomate, für das rund 2.000 kg Tomaten benötigt werden. Das Schloss lockt seine Besucher dann zur Hauptsaison mit Workshops, Talks, geführten Touren und Blindverkostung für Groß und Klein.
Aber auch unterhalb des Jahres haben Gäste die Möglichkeit, in der Tomato Bar Köstlichkeiten rund um die Tomaten zu probieren. Wenn man zwischen den Tomaten sitzt und sich an ihrem Anblick erfreut, kann man zum Beispiel ein Tomatenbier genießen. Natürlich gibt es auch hauseigenen Tomatensaft. „Die Bloody Mary daraus ist köstlich, kann ich nur empfehlen”, zwinkert der Kellner.


Das Menü zum Abendessen drehte sich natürlich auch um die Tomate, als Vorspeise gab es einen erfrischenden Gartentomatensalat mit Scheiben von Coeur du Boeuf und zum Hauptgang sorgte die Säure einer gegrillten Tomate für den notwendigen Kick beim Kabeljau mit Zucchini. Und auch im finalen Obstsalat versteckte sich das ein oder andere Stück Tomate. Die Tomato Bar liegt hinter dem Tomatengarten und die Gäste haben hier Freude der zweiten botanischen Vorliebe des Prinzen Zeuge zu werden, sie schauen auf ein Meer kunterbunter Dahlien. Hoteldirektor Brayé-Lécureuil meint dazu: „Zum einen gelten Dahlien als altmodische Blumen, zu Unrecht! Unsere Dahliensammlung zeigt, wie vielfältig und wunderschön diese Blume ist. Außerdem blüht sie genau während der Erntezeit, wenn besonders viele Gäste hier im Schloss sind.”

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Nichts verkommen lassen
Während sie beim Tomatenfestival etwa auch auf die Hilfe der Bauern im Umkreis zurückgreifen müssen, verarbeiten sie ab Oktober die Vielzahl der Tomaten beispielsweise als Sugo zur Haltbarmachung, mit dem sie dann bis in den nächsten Sommer ihre Soßen zubereiten.
Im Shop des Schlosses stehen neben mit Tomaten parfümierter Kosmetik auch die Samen der vielen Tomatensorten für den heimischen Garten zum Verkauf.
Während gerade hier im Château de la Bourdaisière aber auch überall auf den Märkten die Tomaten den unvergleichlichen Geschmack des Sommers schlechthin bringen, duften und wunderschön aussehen, können im Februar Tomaten sehr nach nichts schmecken, aber warum? Ihr Geschmack entsteht aus dem feinen Zusammenspiel von Süße durch Glukose, und Fruktose und Säuren – von frischer Zitronen- und Äpfelsäure über Vitamin C bis hin zur herzhaften Glutaminsäure, die für Umami sorgt. Alte Sorten mit dünner Schale überraschen oft mit intensivem Aroma, während Handelszüchtungen zwar haltbarer, aber geschmacklich zurückhaltender sind. Wichtig für Verbraucherinnen und Verbraucher: Tomaten gehören nicht in den Kühlschrank, denn Kälte raubt ihnen die Aromen. Besser bei Zimmertemperatur lagern – und wer im Sommer zu viele erntet, trocknet sie einfach und legt sie in Öl ein. So schmeckt der Garten auch im Winter.