Die Ostfriesen haben einen höheren Teeverbrauch als Japaner und Engländer – und zelebrieren ihn auf ihre ganz eigene Art. Lebensmittelmagazin.de war auf eine Tasse Tee im Ostfriesischen Teemuseum in Norden zu Gast.
„Gegen den Uhrzeigersinn – damit die Zeit beim Tee stehen bleibt“, sagt Anke Zimmer, Museumsmitarbeiterin, und zieht den Rahmlöffel an der Innenseite der Tasse entlang. Helle Wolken steigen im dunklen Tee auf. Nicht umrühren! Zuerst schmeckt man die sahnige Cremigkeit, dann die leichte Bitternis des kräftigen Ostfriesentees und zum Schluss die Süße des Kluntje. Der Tisch in der Teeküche ist mit feinem Strohblümchen-Porzellan gedeckt – „Friesisch Blau“. Trotz der robusten Natur an der Küste ist das ostfriesische Teegeschirr filigran und von zurückhaltender Eleganz.
Das Ostfriesische Teemuseum in Norden
Es ist still im historischen Zentrum von Norden; montags hat das Ostfriesische Teemuseum im Alten Rathaus jetzt in der Nebensaison Ruhetag. Das Museum entstand 1989 aus dem städtischen Heimatmuseum und widmet sich seitdem der Geschichte des Tees sowie der regionalen Identität Ostfrieslands. Der Rundgang führt von den Ursprüngen des Teeanbaus in Asien über Verarbeitung und Fernhandel bis hin zu den charaktervollen ostfriesischen Teemischungen, die sich über Jahrhunderte herausgebildet haben. Ein Schwerpunkt ist die regionale Teekultur: historische Kannen, kunstvoll dekoriertes Porzellan, seltene Sammlerstücke und Werkzeuge vergangener Jahrhunderte zeigen, wie Tee vom Luxusgut des Überseehandels zum identitätsstiftenden Alltagsgetränk wurde. Als große Urkunde hängt mittendrin der Hinweis darauf, dass die Jahrhunderte alte ostfriesische Teekultur seit 2016 immaterielles Kulturerbe der UNESCO ist.

Foto: Johannes S.
Die vier großen Produzenten Bünting, Thiele, Onno Behrends und Uwe Rolf unterstützen das Museum seit vielen Jahren. „Jede Marke kann einen Ostfriesentee anbieten, aber nur unsere vier Produzenten hier oben dürfen ihn als ‚echten Ostfriesentee‘ verkaufen – wenn er hier gemischt wurde. Einen Einheitsgeschmack gibt es aber nicht. Jede Mischung hat ihre eigenen Nuancen“, erklärt Anke Zimmer. Die Grundlage bilden kräftige Assam-Tees. Die nordindische Region verfügt über mehr als 800 Teegärten auf 310.000 Hektar – das größte Teeanbaugebiet Indiens. Nach der Ernte erhält der Teataster bis zu 1200 Proben, aus denen er einen konstanten Geschmack komponiert. „Da können durchaus auch Ceylon-Tees dabei sein“, sagt Zimmer. Zarte, blumige Schwarztees wie Darjeeling passen hingegen kaum zur ostfriesischen Tradition.
Die Tee-Zeremonie
Der Ablauf folgt festen Ritualen. Zunächst wird Wasser sprudelnd erhitzt und ein wenig davon in die bauchige Teekanne gegossen, um sie vorzuwärmen. Dann kommen lose Teeblätter in die Kanne – großzügig bemessen nach Anzahl der Gäste. Ein erster, kleiner Aufguss dient dazu, dass sich die Blätter vollsaugen und entfalten. Erst dann wird mit kochendem Wasser aufgefüllt. Vier bis fünf Minuten zieht der Tee auf dem Stövchen. „Vielleicht befremdlich“, sagt Zimmer, „aber Gastgeber schenken sich traditionell selbst zuerst ein, um sicherzugehen, dass alles so ist, wie es sein soll.“ In die Tasse legt man zunächst ein Stück weißen Kluntje – große, glitzernde Kandisbrocken, die beim Eingießen leise knistern. „Brauner Kandis ist bei uns unüblich. Der Eigengeschmack stört“, sagt die Ostfriesin. Die Tasse wird nicht ganz gefüllt: Es fehlt noch die Sahne. Mit einem zuvor im Tee angefeuchteten Sahnelöffel wird frische Sahne am Tassenrand entlanggegeben. Die Sahne sinkt zum Tassenboden und steigt als Wölkchen wieder an die Oberfläche. Gerührt wird nicht. Man trinkt in Schichten: zuerst die sahnige, dann die kräftige, zuletzt die süße über dem Kluntje.

Foto: Johannes S.
Drei Tassen sind „Ostfriesenrecht“ – nachgeschenkt wird ungefragt. Erst bei der vierten Tasse würde man nachfragen. Wer keinen Tee mehr möchte, legt den Löffel in die Tasse: sein einziger Zweck. Zwischendurch wird frisch kochendes Wasser nachgegossen. Ein feines Detail: Zwischen Tülle und Kannenbauch ist die Wand perforiert, sodass die frei schwimmenden Teeblätter beim Ausgießen zurückgehalten werden. Zimmer ist überzeugt, dass Tee am besten aus Porzellan schmeckt. Früher bestanden Teekannen aus Metall, dessen Geschmack man mit einer Patina aus Teestein dämpfte. Die Kannen wurden lediglich mit klarem Wasser ausgespült – ein Brauch, der bis heute gepflegt wird.
Warum Tee?
300 Liter Tee trinken Ostfriesinnen und Ostfriesen im Jahr pro Kopf. Aber warum Tee – und nicht wie im Rest der Republik Kaffee? Zimmer erklärt: „Den Tee haben uns 1690 die benachbarten Holländer aus Batavia mitgebracht. Viele Ostfriesen arbeiteten damals bei holländischen Handelsflotten. So kam der Tee durch die Vereinigte Ostindische Kompanie zu uns.“ Tee bot eine Alternative zum bis dahin üblichen Bier, das auch als Nahrungsmittel diente. Bier war oft die einzige Möglichkeit, Wasser genießbar zu machen. „Das Wasser hier war moorig, durch die Küstennähe brackig. Durch Abkochen – beim Brauen wie beim Tee – wurde es keimfrei. Für Tee nutzte man bis ins 20. Jahrhundert hinein sogar gesammeltes Regenwasser“, sagt Zimmer.
Die Sahne machte den Tee nahrhafter; jeder Hof hatte eigenes Milchvieh. Zucker kam erst später dazu. Das Dünnbier jener Zeit hatte nur rund zwei Prozent Alkohol. Dennoch war man abends „betüdelt“, wenn man den ganzen Tag Bier getrunken hatte. Apropos „einen im Tee haben“: „Nein, das kommt nicht aus Ostfriesland. Zum Tee einen trinken – ja. Aber im Tee sein? Das ist eher was für die Nordfriesen“, scherzt Zimmer. Zum Tee gehört Gebäck. „Wir lieben Sahnetorte – etwa die Ostfriesentorte mit viel Schlagsahne und Weinbrandrosinen. Aber auch Blätterteigbrezeln oder Rosinenstuten mit Butter“, schwärmt sie. Wer nicht genug bekommen kann, findet beim Teeverband sogar Rezepte für Gebäck, in dem Tee selbst verarbeitet wird.
