Anuga ‘25: Die Lebensmitteltrends von Morgen?

Alles beim Alten auf der Food-Messe Anuga? Das Motto von 2023, „sustainable growth“, ist geblieben, aber dieses Mal waren noch mehr Firmen da, die mit kreativen Innovationen überzeugten. Über 8.000 Ausstellende aus 110 Ländern zeigten, was morgen auf unseren Tellern landet. „Lebensmittelmagazin.de“ war zu Besuch in der Domstadt am Rhein.

Der erste Gang auf der Messe führte zur „Anuga taste Innovation Show“. Eine internationale Jury aus Fachjournalisten, Ernährungsexperten, Wissenschaftlern und Marktforschern hatte hierfür aus über 1.900 Bewerbungen 62 herausragende Innovationen ausgewählt, die durch Idee, Nachhaltigkeit, Marktpotenzial und kreative Umsetzung überzeugten. Insgesamt 608 Unternehmen aus 53 Ländern hatten teilgenommen.

Ein Ring sie zu riechen

Aus den 62 Auserwählten wurde schließlich eine Top Ten gekürt. Das deutsche Unternehmen „Air Up“, das bereits seit 2018 seine zahlreichen Fans retronasal zum Wassertrinken animiert, gehörte dazu. Ausgezeichnet wurden sie für die Aktion „Liquid Rainbow“: fünf verschiedene Duft-Pods, jede Sorte mit einem eigenen Farbcode und einer klar definierten Geschmacksrichtung, sollen jeweils individuelle Stimmungen vermitteln. Der Duft „Guave Crush“ wirkt exotisch, unbeschwert, fast sommerlich. „Apricot Glow“ riecht nach Aprikose und Physalis und verspricht innere Balance für alle, die Achtsamkeit, Sonne und einen Hauch „Selfcare“ in ihre Trinkroutine bringen wollen. „Kiwi Chill“ wiederum steht für mentale Entschleunigung. „Berry Bold“ setzt auf Beere und Hibiskus und bildet quasi den Gegenentwurf – mit viel Selbstbewusstsein. Energieboost und Tatendrang verspricht „Energy Rush“. Kratzt hart an der Health-Claim-Verordnung, aber besser, Verbraucherinnen und Verbraucher lassen sich wassertrinkend von diesen Duftringen an der Nase herumführen, als dass sie auf chemischem Wege versuchen, in Stimmung zu kommen.

Verschiedene Sorten zum Probieren von AirUp
Foto: Johannes S.

Von blau zu pink

Wer es zwar nicht in die Top Ten geschafft hat, dafür aber als subjektiver Gewinner des Herzens gilt, ist der „Bubblegum Butterfly Pea“ von „Co8 Drinks Co.“ aus der türkischen Hauptstadt Ankara. Mit natürlichen Zutaten wie eben jenem Schmetterlingserbsentee entwickelte das Unternehmen einen wunderschönen blaulila Softdrink, der als Cocktail auf Partys für Freude sorgen wird. Ein paar Spritzer Zitrone – und er färbt sich pink: Der nächste Einhorn-Kindergeburtstag kann kommen, und für die Großen gibt es zauberhafte Mojitos oder Whiskey Highballs, wie die nette Dame vom Stand empfahl. 

Die Getränkedosen von Co8 Drinks Co.
Foto: Johannes S.

Apropos Highballs: Vom diesjährigen Partnerland Korea stammt Ryse, ein Lemon-Vodka-Soda mit 4,5 Prozent Alkohol und als Hingucker einer Zitronenscheibe in der Getränkedose. Auch sonst war das trendige Land gut vertreten mit seinen Spezialitäten, von Kimchi bis zu den dicken, chewy „Tteokbokki“, die gerne mit einer reichhaltig-käsecremigen, scharfen Soße serviert werden.

Grundsätzliche Beobachtung: Der Anteil asiatischer Unternehmen, insbesondere aus China und Taiwan, nimmt Jahr für Jahr zu – „Bubble Tea“ und fantastische Süßigkeiten in Omnipräsenz – während sich das amerikanische Angebot, früher reichhaltig und spannend, mehr oder weniger auf Nüsse beschränkte.

Auch interessant: Die italienischen Produzenten von „Go & Fun“ präsentierten einen Energy-Drink mit der vollen Koffeindröhnung aus grünem Kaffee, Mate, Guarana und grünem Tee – vergleichbar mit dem österreichischen Dauerbrenner, aber ohne dessen prägnanten Tauringeschmack, dafür unter anderem mit angenehm erfrischendem Ingwergeschmack, „den besonders die Deutschen lieben“, wie der Herr am Stand bemerkte.

Die verschiedenen Sorten von GoFun
Foto: Johannes S.

Künstliche Intelligenz für Frikos

Am Stand des Anuga-Partners, der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie, gab es nicht nur köstliche Waffeln, sondern auch einen etwas gemächlichen Roboterarm vom Deutschen Institut für Lebensmitteltechnik in Kooperation mit dem Deutschen Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz GmbH. Dieser präsentierte eindrucksvoll, wie künstliche Intelligenz Anwendung in der lebensmittelproduzierenden Industrie findet. Dafür hob er zwei Kunststofffrikadellen, analysierte diese visuell und hob sie dann mit einem besonders raffinierten, auf dem Kamineffekt beruhenden Sog von einem Fließband in eine Schale – und vice versa. Im Video konnte man dessen praktische Anwendung bei zu verarbeitendem Gemüse sehen, das Verformungen und qualitative Mängel bei Ware zweiter und dritter Wahl feststellte. Der Geschäftsführer Christian Kircher fügte hinzu: „Künstliche Intelligenz ist in der Lage, den Reifegrad von Avocados akustisch auf rüttelnden Fließbändern festzustellen.“ Eine Infografik verdeutlichte, wie KI Effizienz steigern, Prozesse optimieren, Lebensmittelverluste reduzieren und die Qualität verbessern kann. Zugleich gibt es eben auch bestehende Hürden: rechtliche Unsicherheiten, Datenqualität, fehlendes Know-how und hohe Investitionskosten.

Der KI-Roboterarm vom DFKI
Foto: Jörn Wolter

Ebenso wichtig ist hier für den Verband, Bewusstsein für die Entwicklung von Kreislaufwirtschaft in der Ernährungsindustrie zu schaffen – von der Agrarwirtschaft über die Verarbeitung bis hin zu Verbraucherinnen und Verbrauchern. Ziel sei es, Nebenströme intelligent zu nutzen, Ressourcen branchenübergreifend zu verwerten und Abfälle zu vermeiden. Als spannendes Beispiel nannte Christian Kircher das Start-up „Lynda Biotech“, das erfolgreich Fleischalternativen auf Basis von Pilzmyzel entwickelt, dessen Zucht auf vermeintlichen Abfallprodukten wie Sauermolke basiert. Das Ganze sei jetzt auch „Ministerapproved“, denn beim Besuch des Bundesministers für Landwirtschaft, Ernährung und Heimat, Alois Rainer, seines Zeichens Metzger, zeigte sich dieser ganz angetan vom Produkt.

Upcycling von Marillenkernen

Ein anderes Unternehmen, das mit einem Alternativprodukt aufwartet, ist die „Kern Tec GmbH“ aus Wien mit ihrer Aprikosenkernbutter. Marillenkerne sind dort ein Abfallprodukt, das höchstens Einsatz als Persipan findet, im Zweifelsfall aber einfach verfeuert wird. Die Herausforderung ist der Cyanidgehalt, der mittels patentierten Verfahrens reduziert wird. Auf der Anuga präsentierte das Unternehmen die pur schon ausgesprochen köstliche, fruchtige Creme als pikanten pflanzlichen Aufstrich als Frischkäsealternative sowie als Aprikosenmandelbruch in Schokolade – verdienter Top-Ten-Kandidat.

pflanzliche Aprikosencreme
Foto: Johannes S.

Würzmittel aus Algen

Ein Unternehmen, das inzwischen über Jahre erfolgreich die Schnittmenge zwischen Genuss und Nachhaltigkeit bespielt, ist „Wunderfish“ – aka „Bettafish“, aka „Oceanfruit“ –, die jetzt mit „Oh-mami“ ein Würzmittel auf Basis von Algen entwickelt haben, das einerseits Lebensmitteln, süß wie herzhaft, mehr Tiefe gibt, bei absoluter Zurückhaltung im Eigengeschmack. „Dies bietet gleichzeitig die Möglichkeit, Zutaten wie Zucker oder Kakao zu reduzieren“, erklärte Produktentwickler Thorsten Behnk. Letzteres könnte für Lebensmittelproduzenten in Anbetracht der Preisentwicklung interessant werden. Dafür gab es die Aufnahme in die Top Ten der Anuga.

Das Oh-Mami Würzmitel von „Wunderfish“
Foto: Johannes S.

Ei ohne Huhn

Das amerikanische Unternehmen „Just“ bot auf der Messe eine pflanzliche Alternative für Rührei, Omelette, Pfannkuchen und Co. an – fernab jeglicher Experimente mit Tofu, dafür auf Basis von Mungobohnen. Sie sehen sich als pflanzliche Alternative für Frühstücksbuffets in Hotels. Und nicht zu vergessen: ohne Cholesterin ist es auch eine schöne Gelegenheit für Eiergenuss in Krankenhäusern und Altersheimen.

Den Vogel diesbezüglich abgeschossen – mehr im übertragenen Sinne natürlich – hat das Unternehmen „Neggst“ aus Berlin-Weißensee mit seinem „pochierten Ei“ auf pflanzlicher Basis von Erbsen und Ackerbohnen; so sah das wohl auch die Anuga-Jury und honorierte dies mit der Top-Ten-Mitgliedschaft. Ein dick fließendes Eigelb, wie man als Koch nur davon träumen kann, bei simpler Zubereitung, wie die Gründerin versicherte. Träume vom Einsatz dessen auf Ramen oder Eggs Benedict zerplatzten bei der Information, dass diese Kreationen der Gastronomie vorbehalten bleiben mit kleiner Ausnahme vom veganen Fleischer im Prenzlauer Berg.

Die pflanzliche Eialternative von Neggst
Foto: Johannes S.

Es krabbelt

Anderer Messedauerbrenner: Die entomologische Proteinalternative nimmt langsam positive Züge an, immerhin von „kann man essen“ hin zu „echt lecker“. Das Unternehmen „Sens“ bietet darüber hinaus eine bemerkenswerte Bandbreite an Produkten auf Insektenbasis, von der Konferenzkeksselektion bis hin zum „Cricket Jerky“. Letzteres brachte die Top Ten ein. Der Geschäftsführer kann angesichts des großzügigen Angebots in vielen Sporteinrichtungen und im Lebensmitteleinzelhandel selbstbewusst sagen: „Wir haben inzwischen die Nische verlassen.“ Für wen das immer noch eine Kopfsache sei, der erinnere er gerne an das traditionelle Rezept der Maikäfersuppe, das in früheren Zeiten gang und gäbe war. 

Verschiedene Proteinsnacks aus Insekten
Foto: Johannes S.

Surf ’n‘ Turf

(Mit) das Beste zum Schluss: Das holländische Unternehmen „Fortuna Foods“, spezialisiert auf Carpaccio aller Arten, reichert Rindercarpaccio mit Algen an. Auf dieser Weise soll Gastronominnen und Gastronomen relativ einfach die Möglichkeit gegeben werden ihre CO2-Emmissionen zu reduzieren. Nach Produktversuchen mit diversen Gemüse fiel die Wahl auf Algen. Mit so vorbereitetem Carpaccio schlägt das Unternehmen zwei Fliegen mit einer Klatsche: Die Gastronomie wird nachhaltiger und gleichzeitig – angesichts des Personalmangels – wird bei der aufwändigen Arbeit Carpaccio vorzubereiten auch noch Zeit gespart. Das Ergebnis: purer Genuss, Top Ten? Klaro!

Rindercarpaccio mit Algen
Foto: Johannes S.

Noch eine etwas tröstliche Beobachtung: Dass Essen Politik bedeutet, ist eine Binse. Wenn aber palästinensische und israelische Lebensmittelproduzenten keine 50 Meter voneinander entfernt friedlich auf einem Messegang stehen, keimt doch der Wunsch nach friedlicher Koexistenz. Und ehrlicherweise würden die Köstlichkeiten, also Trockenfrüchte wie Datteln, Tee und Gebäck beider Gruppen hervorragend miteinander harmonieren.

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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