Rundstück warm, der Ur-Burger aus Hamburg

Der Name lässt vermuten, dass der Hamburger etwas mit Hamburg zu tun hat. Allerdings ist der Burger, so wie wir ihn heute kennen und mögen, klar ein kultureller Import aus den USA. Es gibt aber eine Spezialität aus Hamburg, die man als Vorläufer des Burgers sehen kann: das „Rundstück warm“.

Ein großer dampfender Fleischberg aus zarten Schweinebratentranchen, übergossen mit dicker, bernsteinfarbener Bratensoße, einem Gipfelkreuz aus fächerförmig aufgeschnittener Gewürzgurke als Säurenote, flankiert vom bunten Salatbouquet als Alibigemüse. Beim ersten Schnitt offenbart sich die krachend-knusprige Überraschung: der Schweinebraten verbirgt Brötchenhälften. Auch wenn die Komponenten auf dem Teller mit denen eines Hamburgers in etwa übereinstimmen, optisch befinden sich Welten zwischen beiden Gerichten. Gastwirt Torben Olsson klärt auf: „So wird das Rundstück warm üblicherweise in Hamburger Restaurants, Gasthäusern und Kneipen mit hanseatischer Küche serviert: Das Fleisch liegt auf dem Brötchen – dem sogenannten Rundstück – und schützt es davor, von der Bratensoße durchzuweichen.“

Rundstück warm mit Braten und Soße
Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de

Aufs Brötchen kommt’s an

Der Name Rundstück bezieht sich auf das besondere Brötchen, das sich vom gängigen Schnitt- oder Kaiserbrötchen doch etwas unterscheidet, mit seiner runden, glattglänzenden Form. „Das finden Sie fast gar nicht mehr in Hamburger Bäckereien”, gibt Torben Olsson zu bedenken. Der Mittagssnack ist ein Klassiker, der in Olsson Restaurant „Laufauf” eher von älteren Gästen bestellt wird, „meistens verbunden mit Nostalgie und Erinnerungen an früher.” Da Braten aus vielerlei Gründen bundesweit von vielen Tischen verschwunden ist, ist auch das „Rundstück warm“ aus dem Bewusstsein vieler gegangen.

Hanseatenküche

Das Handelskontor-Gebäude des „Laufauf” im Kontorhausviertel feiert übernächstes Jahr hundertjähriges Jubiläum. Im Laufe dieser Zeit beherbergte es immer Gastronomie. Der Vater von Torben Olsson konzipierte es 1994 als Restaurant, das sich ganz dem damaligen Zeitgeist entsprechend auf Aufläufe spezialisierte. Da es in Altona damals schon ein Restaurant „Auflauf” gab, erhielt das „Laufauf” den gewissen Dreh im Namen. Angesichts der Nachfrage von Touristinnen und Touristen „und meinem Herz als Hamburger Junge, stellten wir die Karte sukzessive auf Hanseatische Küche um,“ erklärt Olsson. Die Einrichtung ist gemütlich zeitlos und mit den getäfelten Wänden Blaupause für Restaurants mit gutbürgerlicher Küche, wie man sie in jeder deutschen Stadt findet. Aus der Ecke gegenüber schaut einen Ed Sheeran an, zumindest vom Porträt, der hier wohl schon Gast war.

Restaurant „Laufauf“ mit Ed Sheeran an der Wand
Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de

Laut dem Wirt ist heute nach dem deutschlandweit beliebten Wiener Schnitzel der Hamburger Pannfisch das beliebteste Gericht auf der Speisekarte – ein weiteres typisches Beispiel für die Hanseatenküche.

Hamburger Pannfisch – ein Klassiker der hanseatischen Küche
Foto: horax zeigt hier, flickr.com, Lizenz: CC BY-SA 2.0

Das Beste aus Resten

Das Rundstück war ursprünglich, so der Wirt, weniger ein typisches Gericht für Gaststätten, sondern eher ein klassisches Resteessen aus dem späten 19. Jahrhundert: „Die Werftarbeiter von Blohm & Voss bekamen von ihren Frauen die Reste vom Sonntagsbraten mit etwas übriggebliebener Soße zwischen zwei Brötchenhälften als Snack für die Mittagspause mit. Die Werft gibt es übrigens heute noch.“

Weil das Gericht immer beliebter wurde und einfach zuzubereiten und zu essen ist, nahmen auch Wirtinnen und Kneipenwirte es in ihr Angebot auf – es passt geschmacklich übrigens auch sehr gut zu Bier. Dabei muss es nicht immer Braten sein, auch eine Frikadelle im Brötchen – das sogenannte Frikobrötchen – ist möglich.

Angeblich soll das Bierhaus Heckel die erste Gaststätte auf der Reeperbahn, Ecke Heinestraße/Hamburger Berg gewesen sein, einen Katzensprung vom berühmt-berüchtigten „Goldenen Handschuh” entfernt.

Übern Teich

Soweit ist alles gut belegt und nachvollziehbar, aber zum genauen Hergang, wie das Rundstück warm zum Burger avancierte, herrschen soweit nur Theorien. Zum Ende des 19. Jahrhunderts wuchsen die Zahlen der Auswanderinnen und Auswanderer gen Amerika in die Millionen. Grund hierfür war die politische Situation, vertrieben durch verlorene Kriege auf dem europäischen Kontinent, gescheiterte Revolutionen wie die deutsche von 1848/49, Judenprogrome und nicht zuletzt die wirtschaftliche Misere, die mit dem Aufkommen der Industrialisierung und den dadurch für viele wegrationalisierten Arbeitsplätzen verbunden war.

Hamburg war mit der hier ansässigen Schifffahrtslinie der HAPAG einer der wichtigsten Ausgangspunkte für die Amerikapassage mit dem Dampfschiff vom europäischen Festland aus. Die Fahrt per Dampfschiff dauerte zunächst zwei Wochen, später Dank moderner Technik gekürzt auf weniger als anderthalb Wochen. Für die unteren Klassen in den Zwischendecks war keine Versorgung vorgesehen, sodass sich die Menschen für die lange, beschwerliche und auch gefährliche Reise mit haltbaren Lebensmitteln, wie Zwieback und Dörrfleisch, versorgen mussten. Wahrscheinlich war so ein Rundstück die letzte Köstlichkeit für längere Zeit, bevor die Einwanderer endlich amerikanischen Boden unter den Füßen hatten.

Wo zuerst

An diesem Punkt wird die Geschichte etwas unklar und geht ins Legendenhafte über. Sicher ist: Auf dem amerikanischen Kontinent wurde die flache Frikadelle – heute „Patty“ genannt – zunächst als „Hamburger Steak“ bekannt. Ob der erste Hamburger nun um 1900 als „steak sandwich“ bei „Louis’ Lunch“ vom deutschstämmigen Louis (Ludwig) Lassen in New Haven serviert wurde, oder 1904 auf der Weltausstellung in St. Louis als „Hamburg“ ohne „-er“, oder vielleicht schon 1873 als „Hamburg Steak“ als teuerstes Gericht auf der ersten Speisekarte im New Yorker Delmonico’s – das ist bis heute eine umstrittene Frage.

Der Name hat sich im Laufe der Zeit vom Hamburger Rundstück zum Hamburger Steak, zum Hamburger bis schließlich heute zum Burger geändert. Bei genauer Betrachtung gilt ähnliches für die Speise an und für sich. Gab es früher als Alternative die Fischfrikadelle als „Bremer”, so sind heute den Alternativen zum Rindfleischpatty keine Grenzen gesetzt: Fisch, Huhn und natürlich Veggi in 1001 Darreichungsformen, alles ist möglich. Bemerkenswerterweise lässt sich auch beim guten alten Rundstück noch eine Parallelevolution feststellen: Angesicht der Wünsche seiner Kunden und im Sinne des Zeitgeistes überlegt Torben Olsson: „Irgendwann werden wir ein veganes Rundstück anbieten, da sind wir schon am Entwickeln und Ausprobieren.”

Artikel-Teaserbild (oben): Johannes – lebensmittelmagazin.de

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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