Käse bei Graindorge: Vom Handwerk zum Genuss

Ein feiner Duft liegt in der Luft: In Frankreich verbindet man den Genuss von Käse eher mit Rotwein, Baguette und einem identitätsstiftenden Gefühl, als mit dem Brötchenbelag zum Frühstück. Lebensmittelmagazin.de besuchte eine Käserei in der Normandie, die seit über hundert Jahren für genau diese Identität steht.

Kein Artikel über französischen Käse kommt ohne das berühmte, wenn auch nicht gesicherte De-Gaulle-Zitat aus: „Wie wollen Sie ein Volk regieren, das 246 Käsesorten besitzt?” Das Bonmot bringt auf den Punkt, wofür Frankreichs Käse so berühmt ist: für seine unglaubliche Diversität. Camembert, Pont-l’Évêque oder Livarot – allein die Normandie liefert einige der bekanntesten Klassiker. Sie stehen für regionale Tradition, Handwerk und die üppige Milch von Weiden.

Die 4 bekannten Camembert-Sorten der Käserei Graindorge
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Mitten in Livarot, im Herzen des Pays d’Auge, liegt die Fromagerie Graindorge. Gegründet 1910 von Eugène Graindorge, hat sie sich von einer kleinen Dorfkäserei zu einer der wichtigsten Adressen für Rohmilchkäse entwickelt. Bis heute produziert man hier vier Sorten mit EU-geschützter Ursprungsbezeichnung (AOP): Livarot, Pont-l’Évêque, Camembert de Normandie und Neufchâtel.

Der Weg vom Rohstoff zum Meisterwerk

Der Weg zum fertigen Käse ist eine Abfolge von präzisen Schritten, die das alte Handwerk bewahren und mit modernen Techniken verbinden.

  1. Die Milchsammlung
    Die Basis für jeden guten Käse ist die Milch. Graindorge arbeitet mit rund 120 Milchbäuerinnen und -bauern aus dem Pays d’Auge zusammen. Das besondere Klima und die satten Wiesen der Normandie sorgen für eine Milch, die reich an Aroma ist. Ein Käsemeister erklärt, dass man schmecken kann, was die Kühe gefressen haben: Im Frühling sei die Milch blumiger, im Herbst kräftiger.
  2. Vom Rohstoff zum Käsebruch
    Nach der Anlieferung wird die Milch erwärmt und mit Lab zum Gerinnen gebracht. Es entsteht die Dickete, eine gallertartige Masse, die vorsichtig geschnitten wird. Dabei trennen sich der Käsebruch und die Molke. Je nach Schnittgröße entsteht ein anderer Käsetyp: grob geschnitten für weichen Camembert, feiner für den festen Livarot.
  3. Das Handwerk des Formens
    Routiniert wird der Käsebruch in die runden oder herzförmigen Formen gefüllt. Jeder Handgriff sitzt. Eine junge Käserin in der Ausbildung beschreibt es als eine Sache des Fingerspitzengefühls. Das präzise Handwerk macht den Unterschied aus.
Camembert in der Lagerung
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
  1. Abtropfen und Salzen
    Am Nachmittag darf der Käse langsam abtropfen. Mehrfaches Wenden hilft, die richtige Form und Konsistenz zu bekommen. Am nächsten Morgen wird von Hand mit grobem Trockensalz gearbeitet. Das Salz konserviert, aber es trägt auch maßgeblich zum Aroma bei, da es die Oberfläche für die Entwicklung der Edelflora vorbereitet.
  2. Reifung in den Kellern
    Die Affinage, die Reifung, ist die wahre Kunst der Käserinnen und Käser. In den feuchten Kellern herrscht konstante Temperatur und die Luft ist schwer von Aromen. Hier entwickeln sich über Wochen die charakteristischen Rinden: Der Livarot, der auch den Spitznamen „Colonel“ trägt, wird dreimal gewaschen und mit drei bis fünf Riedgrashalmen gebunden, wodurch er seinen würzig-kräftigen Ton erhält, während der Pont-l’Évêque nur einmal gewaschen wird und dadurch feiner bleibt. Der Camembert reift unter weißem Edelschimmel, der seine samtige Oberfläche bildet.

    Nach 21 Tagen sind die Käse reif und verlassen die Käserei, meist in den traditionellen Holzschachteln verpackt, die ihr Aroma bewahren.
Verschiedene Formen in denen Camembert aufbewahrt werden kann
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Rohmilch oder pasteurisiert?

Graindorge produziert sowohl Käse aus pasteurisierter Milch als auch Rohmilchkäse der „Père Eugène“-Linie. Rohmilchkäse behält seine vielfältige Bakterienflora und bietet z.B. beim Rohmilch-Camembert im Vergleich einen wesentlich intensiveren und komplexeren Geschmack als in der pasteurisierten Variante.

An dieser Stelle ein Hinweis: Für Schwangere, Kleinkinder und immungeschwächte Personen wird empfohlen, auf den Verzehr von Rohmilchkäse zu verzichten. Ursache ist, dass mögliche Krankheitserreger wie Listerien in Rohmilchprodukten nicht zuverlässig abgetötet werden.

Verkostung für Käseliebhaber

Als krönenden Abschluss der Führung hat man die Möglichkeit, an der Verkostung teilzunehmen. Im Uhrzeigersinn auf einem Teller liegen Pavé d’Auge, Pont-l’Évêque AOP, Coulommiers, Camembert de Normandie AOP, Livarot AOP und Neufchâtel AOP. Dazu werden frisch gebackenes Baguette, ein Salatbouquet mit Apfelstückchen, etwas Apfelgelee und ein Glas Cidre serviert.

Die Sorten Pavé d’Auge, Pont-l’Évêque AOP, Coulommiers, Camembert de Normandie AOP, Livarot AOP und Neufchâtel AOP
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Der Pavé d’Auge hat eine feste, federnde Konsistenz und ist mild-würzig und buttrig im Geschmack. Der Pont-l’Évêque besitzt eine geschmeidige Textur und einen feinen, buttrigen Geschmack. Der Coulommiers hat eine samtig-weiße Rinde und ist cremig-weich mit einem fein-milchigen und leicht nussigen Geschmack. Der Camembert de Normandie hat eine geschmeidige, cremige Textur und schmeckt nussig und leicht erdig, mit dezenten Pilzaromen. Der Livarot ist weich, aber kompakt, mit einem würzig-kräftigen, erdigen Geschmack. Der Neufchâtel schließlich zeichnet sich durch seine feste, feine Konsistenz und eine frische, leicht säuerliche Note aus.

„Jede Sorte hat ihre eigene Geschichte“, erklärt die Affineurin. „Indem man sie in Ruhe verkostet, kann man die ganze Vielfalt der Normandie schmecken und genießen.“

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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