Latkes, kleine Kartoffelpuffer, zu Hanukkah

Clean, regional, koscher – zu Besuch im jüdischen Restaurant

Jüdisches Essen ist mehr als Hummus. Lebensmittelmagazin.de hat in München ein koscheres Restaurant besucht.

Mitten in München auf dem St.-Jakobs-Platz steht das Gebäude der Israelitischen Kultusgemeinde. Unter anderem beherbergt es im Erdgeschoss seit der Eröffnung 2007 ein koscheres Restaurant – das „Einstein“. Seit November vergangenen Jahres ist Sven Tweer hier Restaurantleiter. Während beispielsweise die orientalisch-jüdische Küche auf Instagram und anderen sozialen Netzwerken geradezu omnipräsent ist und in Berlin und anderen deutschen Städten man dementsprechende Restaurants an allen Ecken und Enden findet, gibt es trotzdem einen guten Grund extra nach München fahren: Das Einstein ist in einem Radius von mindestens 300 Kilometern das einzige Restaurant, dessen Küche koscher ist. Berliner Restaurants, wie das Neni, Maseltopf und Co., servieren zwar israelisches Essen, das ist aber nicht zwingend koscher.

Koscher ist nicht gleich koscher

Für theologische Fragen hat sich der Koch den Rabbiner der Gemeinde zur Hilfe beim Interview geholt. „Koscher ist wie eine Treppe mit vielen Stufen, es gibt auch koscher Style“, sagt der Rabbiner. Das Einstein lege koscher sehr orthodox aus, Mehadrin, was die höchste Stufe bedeutet. „Man nennt dies auch glatt“, erklärt der Rabbiner. „Dabei bezieht sich dieser Ausdruck eigentlich nur auf das Fleisch und dessen Beschau. Das Fleisch reiner Tiere, wie Lämmer und Rinder, wird nach dem rituellen Schächten beschaut, insbesondere die Lunge. Es darf weder Narben noch Löcher, beispielsweise durch Krankheiten, aufweisen, sondern muss glatt sein.“

Diese Prüfung, sowie alle übrigen Lebensmittelprüfungen unter den jüdischen Speisegesetzen und auch das damit verbundene Siegel tragen den Namen Kaschrut. Im Einstein werden ausschließlich so zertifizierte Lebensmittel verwendet. Die Gewährleistung dafür obliegt ebenfalls dem Rabbiner, der auch als Maschgiach in der Küche arbeitet. Wie viele Speisegesetze gibt es? „Tausende“, sagt er und seufzt. Als Maschgiach, was wörtlich „Aufseher“ bedeutet, ist es ebenfalls seine Aufgabe, die Kühlhäuser auf- und zuzuschließen, um den Zustand der koscheren Lebensmittel zu garantieren. Auch müsse er das Feuer anstellen.

Trennkost Milch und Fleisch

Der Blick geht fragend zum Restaurantleiter, Kochen auf Holz oder wie? Doch dieser beruhigt: „Nein, nein, wir haben ganz normale Elektroherde mit Kochfeldern. Aber aus der Tradition der Kaschrut heraus, muss eben der Maschgiach den Herd anstellen. Induktion wäre übrigens nicht konform, da müsse der Maschgiach dann im Zweifelsfall den Topf hoch- und runternehmen, da zwischendurch der Hitzeprozess unterbrochen wird.“ Ein anderes prominentes Speisegesetz ist das Verbot der Kombination von Fleisch- und Milchprodukten, was auch den Einsatz von Geschirr und Küchengeräten betrifft. Das müsste dann eine ganz schön große Küche sein, mit quasi doppeltem Equipment. Sven Tweer winkt ab: „Wir verzichten in unserer Küche auf Milch. Darüber freuen sich dann auch die Laktoseintoleranten.“

Moment, zum Anfang des Gesprächs ist doch Cappuccino angeboten worden? „Haferdrink“, lautet die Antwort. Richtiges Stichwort, der Rabbiner und Tweer haben dazu eine eindrückliche Anekdote parat: „Einmal fiel die Espressomaschine aus und der Hersteller wollte zum Überbrücken eine Ersatzmaschine schicken. Das verhinderte der Maschgiach, wer könne schon garantieren, ob durch die Maschine nicht schon zuvor Milch lief?“

Weniger bekannt ist, dass auch Fisch und Fleisch nicht zusammen verzehrt werden dürfen, also kein Surf ’n Turf. „Koschere Fische sind übrigens diejenigen mit Schuppen, Kiemen und Flossen, das schließt Hai und vor allem Wels aus. Selbst Getreide, Obst und Gemüse, eigentlich parve, also neutral, müssen vom Maschgiach durchgesehen werden, etwa auf Insekten im Salat. Auch koscheres Mehl wird vor der Verwendung durchgesiebt.“

Gefilte Fisch auf einem Teller
Ein typisches Gericht der Aschkenasim: „Gefilte Fisch“.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Über Geschmack kann man streiten

In der Tora findet man nichts über die Speisegesetze. Denn als Mose auf dem Berg Sinai die Tora von Gott als Schriftrolle empfing, erhielt er auch einen mündlichen Teil, der darauf folgend zwischen den Generationen mündlich überliefert und gelebt wurde. Erst unter griechisch-römischer Besatzung, als jüdische Gesetze wie beispielsweise Schächten oder Beschneidung verboten wurden, schrieben die Gelehrten diese Gesetze in knapper Form nieder. Später las man dann diese Texte, den Talmud, aber jeder interpretierte den Text anders und so gibt es untereinander konkurrierende Lesarten. Etwaige Fragen werden im Zweifel immer nach oben gereicht und dabei ist es entscheidend, welcher Lesart der Entscheider angehört. Es sei kompliziert, Jude zu sein, fasst der Rabbiner zusammen.

Eine ‚jüdische Küche‘ gebe es so nicht. Man muss allein an die Vertreibung aus Spanien Ende des 15. Jahrhunderts denken, bei der die „Sephardim“ nach Süden, Nordafrika und die Levante zogen. Währenddessen lebten die „Aschkenasim“ in Nordosteuropa. Die Menschen adaptierten jeweils das, was es um sie herum gab. Durch die vielen Vertreibungen im Laufe der Geschichte sorgte dies für einen kulinarisch-kulturellen Mischmasch. Die heutige jüdische Küche in Mitteleuropa ist die der Aschkenasim.

Kräuter statt Gewürze

Und was macht diese jetzt genau aus? Der Restaurantleiter denkt kurz nach: „Die Küche hat einen Hang zum Süßen auch bei herzhaften Gerichten. Man denke dabei an Latkes, Reiberdatschi mit Apfelmus. Außerdem kommt nur wenig Säure ins Spiel, kaum Essig, geschweige denn Zitrone. Anders als im Orient werden eher Kräuter wie Dill und Petersilie statt Gewürzen verwendet.“ Als typisches Gericht der Aschkenasim wird zunächst „Gefilte Fisch“ erwähnt. Ein Süßwasserfisch, wie Karpfen, Zander oder auch Hecht wird zunächst hohl ausgelöst, sodass die Fischhaut intakt bleibt. Als Armeleuteessen nimmt man dafür, was man bekommt. Die Filets werden von den Gräten befreit und bei niedriger Temperatur im kräftigen Sud mit Karotten, Salz und Pfeffer gekocht. In Polen wird der Fisch süßer mit Zucker abgeschmeckt, während er in der Ukraine kräftig gepfeffert wird. Traditionell können die Gräten auch zerkocht werden, indem man das Ganze beispielsweise über Nacht köcheln lässt. Anschließend werden die Filets zur Farce verarbeitet und wieder in der Fischhaut serviert. Klassisch wird er auf der Platte mit dem gelierten Fond serviert.

Matzeknödel in einer Brühe serviert.
Matzeknödel in Brühe serviert.
Foto: Johannes S. – Lebensmittelmagazin.de

Bevor es sauer wird

Ebenfalls typisch sind Matzeknödel. Es sei schwierig hier ein Rezept zu nennen, zu viele Varianten gebe es davon. Dabei handelt es um in der Brühe servierte Klösschen, ähnlich Grießklösschen. „Der Clou dabei ist Backpulver. Je härter der Matzeknödel ist, umso intensiver ist der Geschmack nach Matzebrot. Je lockerer er ist, desto besser nimmt er den Geschmack der Suppe auf. Und ob da jetzt ein Ei in den Teig kommt oder nicht – da streiten sich die Geister.“ Matzebrot selber ist ein ungesäuertes Brot mit Teig aus Mehl und Wasser, dessen Verarbeitung inklusive Backen maximal acht Minuten dauern darf, da ansonsten die Fermentation beginnt. Zu Pessach wird ausschließlich dieses Brot gegessen, es erinnert an den Auszug aus Ägypten, als in der Hast der halbfertige Brotteig mitgenommen wurde und es in der Wüste keine andere Möglichkeit gab, Brot zu backen.

Gibt es denn ein Gericht der aschkenasischen Küche, das ähnliches Potenzial hätte wie Hummus, einfach und lecker? Kurzes Zögern: Gretschka, gerösteter Buchweizen, den man im russischen Supermarkt bekäme. „Den kocht man entweder wie Reis im Verhältnis 1:2 etwas Salz und verfeinert ihn mit geschmolzener Butter. Man kann ihn auch süß in Milch kochen und mit Zucker genießen. Der nussige Geschmack des gerösteten Buchweizens ist einzigartig.“

Zum Schluss kommt die Frage auf, wie denn die kulinarischen Transfers innerhalb der 1.700 Jahre jüdisches Leben in Deutschland sind: „Natürlich gibt es im Laufe einer so langen Zeit wechselseitige Adaptionen, man denke an Begriffe wie ‚Schlamassel‘ oder ‚Tacheles‘. Bier, dass nach deutschem Reinheitsgebot gebraut ist, entspricht der Kaschrut. Aber andersherum, wer würde darauf kommen, dass ausgerechnet ein beliebtes Gericht wie Königsberger Klopse jüdischen Ursprungs ist?“

Beitragsbild (oben): Africa Studio – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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