Start-ups, Gastronomen und Stakeholder feierten in der Hauptstadt Genuss und Nachhaltigkeit während der Berlin Food Week. Lebensmittelmagazin.de tummelte sich auf der Berlin Food Night und im House of Food.
„Es gibt zwei Wege der Transformation: by Desaster oder by Design“, zitierte Professor Thilo Hühn die Ökonomin Maja Göpel in seiner Keynote bei der Berlin Food Night im Rahmen der seit 2014 etablierten Berlin Food Week. Zusammen mit dem Dussmann Food Service Innovation Lab präsentierte die Berlin Food Week am 8. Oktober ein Get-together im AchtBerlin. Passender, wenngleich zufälligerweise, war eben dieser Mittwoch der Tag, an dem sich das Europa-Parlament vorerst dafür entschied, Schnitzel, Steak und Wurst die Exklusivität des tierischen Ursprungs zuzusprechen. Angesichts dessen zeigte man sich an dem Abend eher kämpferisch: „Hauptsache, das Thema ist in aller Munde“, hieß es zur Begrüßung.

Foto: Johannes S.
Fängt schon gut an
Großes Thema des Abends waren alternative Proteine, nicht nur im Gespräch, sondern auch auf dem Teller. Als Amuse-Gueule gab es Eggdrop Sandwiches mit „Eggs from plants“ vom von der Anuga bekannten Hersteller Just. Als Fingerfood im Stehen waren sie zum einen sehr überdimensioniert, vor allem mit der Aussicht, sich den Abend über weiterhin durchzuprobieren, und zum anderen trotz karamellisiertem Senf eher unspektakulär. Da brauchte es einfach mehr raffinierte Zutaten wie etwa Frühlingszwiebelringe, Wasabi-Mayonnaise oder Sriracha.
Köstlicher Radiergummi
Umso aufregender war dafür der Do it yourself-Mycel-Taco mit Portobello und Apfel-Kimchi von Kynda x Berlin Cuisine. Schon das Prozedere war ein Happening: Head of Business Development Benjamin Schramm-Völkening presste den wenig appetitlich anmutenden, milchigen Inhalt aus dem Erlenmeyerkolben trocken und überreichte jedem interessierten Gast einen kreideschlammfarbenen Fladen auf Zellulosepapier, der im rohen Zustand nach zerschreddertem Radiergummi schmeckte. Umso größer war das kulinarische Vergnügen, sobald das erstmal wenig appetitliche Objekt grilliert und mit Pilzragout sowie Kimchi angereichert wurde. Der Taco war knusprig und herzhaft und erinnerte an eine holländische Käsewaffel – ideal als Snack. Der nächste Barbecue-Sommer mit Pilzmycel überm Feuer kann kommen! Was am Verfahren von Kynda besonders reizvoll ist, konnte Benjamin Schramm-Völkening eindrucksvoll darstellen: Zur Pilzanzucht eignet sich als Nährlösung jeglicher kohlenhydratreicher Reststoff, der in der Lebensmittelindustrie anfällt, wie etwa Sauermolke aus der Joghurtproduktion, die bislang an Tiere verfüttert wird, da sie anderweitig keinen Nutzen findet. Alternative Einsatzorte sieht er beispielsweise in der Zuckerindustrie. So kann zukünftig dezentral innerhalb von 48 Stunden bei 30 °Celsius Pilzmycel als Proteinalternative gewonnen werden, und zwar mithilfe von ihm so genannten „Nebenströmen“, die ansonsten bestenfalls downgecycelt werden. Der Wissenschaftler gab zu bedenken, dass als Wärmequelle hierfür beispielsweise die Abwärme beim Pasteurisieren dienen könnte.

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Die anschließende Brezel mit Butter mochte zwar nur eine wohlschmeckende Dinkel-Hefeöl-Brezel vom Münchner Start-up GST sein, ihr wissenschaftlicher Hintergrund war umso spannender: Global Sustainable Transformation verwandelt mittels Präzisionsfermentation altes Brot zu Fett, sogenanntem Hefeöl, als klimapositive Alternative zu Butter und Palmöl.

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Weiterhin gab es zur Verkostung einen Erdnussriegel der finnischen Firma Solar Foods. Ein bestimmtes Bakterium produziert mit Hilfe von elektrischem Strom und dem CO2 aus der Luft Solein, eine sowohl, wie in diesem Fall, süß, aber auch herzhaft einzusetzende Proteinquelle. Vor dem Verzehr musste man eine Erklärung unterschreiben, da das Verfahren den Prozess der Novel-Food-Verordnung noch nicht fertig durchlaufen hat. Die Lebensmittelproduzenten des Abends konnten beeindruckend die These von Professor Hühn bestätigen, dass die Entwicklung der menschlichen Ernährung vom Jäger und Sammler, zu Ackerbau und Viehzucht und der Industrialisierung hin zu Automatisierung und Digitalisierung längst Realität ist.
Offene Türen im House of Foods
Keine Berlin Food Week ohne das House of Food. Auch hier präsentieren Lebensmittelproduzentinnen und -produzenten neue Mittel und Wege, Genuss, Wohlbefinden und Nachhaltigkeit auf einen Teller zu bekommen. So zum Beispiel Madlen Baetzgen von der Better Day Beverages GmbH, die mit ihrem „wild&water“ mit natürlichen Zutaten wie Tee-Extrakten und Kräuterauszügen Wassertrinken am Arbeitsplatz attraktiver gestalten möchte. So kann man je nach Gusto zwischen Infused Water, Tee – ob kalt oder heiß, mit Kohlensäure oder still – genießen, ohne zwischen vielen Kalorien oder Süßstoff wählen zu müssen.

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Pilze wohin man schaut
Wiederkehrendes Element der Ausstellung im Berliner Bikini-Haus waren aber Pilze in allen erdenklichen Darreichungsformen. So etablierten sich adaptogene Pilze als wichtiger Trend für die wachsende Kategorie der Functional Foods. Sorten wie Reishi, Cordyceps, Lion’s Mane und Chaga werden nicht mehr nur in traditionellen Heilmitteln geschätzt, sondern finden ihren Weg in moderne Produkte. Das Start-up Gain Kitchen bot beispielsweise eine Koffein-reduzierte Kaffee-Alternative auf Basis von adaptogenen Pilzextrakten mit dem Geschmack von Kakao und Zichorie – konnte man gut trinken.
Etwas spritziger waren dagegen die Erfrischungsgetränke des polnischen Start-ups Shroom, die einem helfen sollen, sich mittels adaptogener Pilzextrakte besser zu fokussieren und entspannen zu können. Außerdem boten sie einen alkoholfreien Cocktail „Diva“ an, dem die Gründerin eine gewisse enthemmende Wirkung zusprach. In wieweit das alles mit der Health Claims-Verordnung in Einklang steht, sei dahingestellt.

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Selbstverständlich gab es auch einige Anbieter für Fleischalternativen auf Pilzbasis. Diese waren allerdings nicht mit Myzel hergestellt, sondern hatten die Fruchtkörper der Pilze verarbeitet. Spannend und lecker war beispielsweise die Pilz-Fois Gras der Herren von Fungi Feeds GmbH aus Konstanz, die eine „fungivore“ Ernährung propagierten und ein ganzes Sortiment an Pilzkörper-basierten Gerichten, von der Ramensuppenbasis über Pilz-Bolognese bis zu Aufstrichen, anboten. Sollten solche pflanzlichen Fleischalternativen tatsächlich umbenannt werden müssen, steht doch eine gewisse Mammutaufgabe bevor, sich neue Namen einfallen zu lassen und trotzdem die Verbraucherinnen und Verbraucher anzusprechen.
Ausgesprochen lecker waren die Pilzhackkreationen der dänischen Firma Matr, die aus Pilzen, Erbsen, Lupinen, Kartoffeln, Roter Bete und Hafer bestanden. Das Produkt gab allerdings nicht vor eine Fleischalternative zu sein, sondern punktete mit einem klar zu identifizierenden Pilzgeschmack.

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Ähnlich schaut es beim Mitbewerber Mushroots mit seinen Pilzhackbällchen aus. Interessanterweise entpuppt sich als Unternehmen dahinter das in Hamburg ansässige Mushlabs, das vor einigen Jahren mit Pilzmycel vom Shiitake im Novel-Food-Prozess steckte.

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Nicht nur Pilze
Es waren aber nicht alles Pilze, was man im House of Food probieren konnte: Ein neuer Geschmack, der einen sofort gedanklich in die Skihütte katapultierte, war Zirbe – eine Limonade mit gleichnamigem Geschmack aus Stuttgart. Ähnlich wie ihr Pilz-Pendant soll sie durch das balsamische Nadelholzaroma die Genießerin und den Genießer „runtertouren“ – immerhin lecker und mal was Neues.

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Nicht neu, aber dafür ausgesprochen köstlich und seit 2022 auf der Liste des immateriellen Kulturerbes der Menschheit der UNESCO aufgenommen, war die tunesische Chilipaste Harissa von Harissa et Co. Anders als die in Deutschland sonst erhältliche tunesische Spezialität trumpft diese Harissa mit einem beeindruckenden Umami-Boost durch geräucherten Paprika auf, nach einem eigenen alten Familienrezept, wie Gründerin Amal am Stand verriet. Man bekommt sofort großen Hunger auf köstliche Maghreb-Küche und Lust auf Urlaub.