Frisch geerntete Zitrusfrüchte in Kisten.

Zitrusfrüchte: Wenn das Leben Zitronen gibt …

In den Wintermonaten haben Zitrusfrüchte Saison. Aber dieser Winter ist anders als sonst.

Kennst du das Land, wo die Zitronen blüh’n,
Im dunkeln Laub die Goldorangen glüh’n,
Ein sanfter Wind vom blauen Himmel weht,
Die Myrte still und hoch der Lorbeer steht.

Nie konnte man Goethes Fernweh besser nachvollziehen als heute. Es ist grauer Winter in Berlin, der Lockdown hält noch an, für unbestimmte Zeit, und der nächste Urlaub liegt in weiter Ferne – vorerst keine Spaziergänge unter den Orangenbäumen Marrakeschs oder in den Amalfinischen Zitrushainen.

Dafür kann man im heimischen Wohnzimmer eine Orange entsaften, Mandarine schälen oder Pampelmuse löffeln. Zitrusfrüchte kommen ursprünglich aus der Region südöstlich des Himalaya und finden die erste Erwähnung in chinesischen Quellen vor mehr als 2000 Jahren vor Christus. Jetzt in den Wintermonaten haben Zitrusfrüchte Saison, die auf dem hiesigen Markt jetzt vornehmlich aus dem Mittelmeerraum kommen, sowie Israel und Nordafrika. „Bestimmte Früchte, wie Limette aus Asien, haben Einfuhr-Beschränkungen des Risikos wegen, Krankheiten einzuschleppen“, erklärt Gunnar Wörfel, Leitung der Agentur Einkauf/Verkauf mit Spanien bei der Peter Keuthmann GmbH & Co.KG auf dem Fruchthof des Berliner Großmarkts in Moabit.

Tutti Frutti

„Bei uns findet man Zitronen, Orangen, Grapefruit sowie Mandarinen. Viele Früchte ließen sich in diese vier Gruppen einsortieren. Die säuerlichen Satsumas gibt es von Anfang Oktober bis Weihnachten auf dem Markt, dünnschalig, kein Easy-Peeler, ein eher auslaufendes Modell, das aber seine Fans hat. Mandarinensorten wie die Oronules-Clementinen gibt es von Oktober bis November, dem folgen die süßen und leicht zu schälenden Clementinen wie Clemenules, die es bis Anfang Januar gibt.“ Ab Januar gebe es Orris aus Israel und Nordafrika, die immer beliebter werden.

Frische Clementinen
Frische Clementinen.
Foto: Melica – stock.adobe.com

Kerne und Farbe

„Der Verbraucher bevorzugt süße, leicht zu schälende, kernlose Früchte. Dabei ist gerade der letzte Punkt Nonsens, da die Kerne von Zitrusfrüchten, ähnlich wie Wassermelone und Weintrauben, aufgrund ihrer Ballaststoffe gut für den Darm sein können. Ähnlich ist das bei Zitrusfrüchten wie der weißen Pampelmuse oder rosa Grapefruit, deren Bezeichnung von der Fruchtfleischfarbe abhängt.“ Apropos Fruchtfleischfarbe: „Blutorangen entwickeln die dunkelrote Färbung erst nach einem Kälteschock durch Temperaturgefälle. Das gilt nicht für alle Orangensorten, sondern ist eine Frage der Züchtung“, weiß der Zitrusfrucht-Experte. Auf die Frage was der Unterschied zwischen Limonen und Limetten sei, gibt es eine verblüffende Antwort: „Unter Limonen versteht man eine Herkunftsbezeichnung für Zitronen aus Italien.“

Von Versorgungsproblemen keine Spur

Die Antwort auf eine andere Frage ist weitaus überraschender. In der Tagespresse liest man von drohenden Versorgungsengpässen, Staus an Grenzen, Forderung nach Green Lanes, alles aufgrund der Corona-Regularien. „Es gibt überhaupt keine coronabedingten Engpässe. Die spanischen und italienischen Spediteure kennen die Anforderungen an den Grenzen und sind dementsprechend präpariert.“ Aber: „Es hat in den vergangenen Wochen ein extremes Wetter mit Schneefall im Mittelmeerraum gegeben, mit hohem Niederschlag, so dass sich die Früchte vollgesogen haben. Und im Sommer haben starke Winde für Ernteverringerung gesorgt.“

Wo bleibt die Nachfrage?

Die Obstgroßhändler haben ein anderes Problem: Durch den coronabedingten Lockdown bei Gastronomie, Hotels und Restaurants, aber auch Mensen und Kantinen, sei die Nachfrage von Großverbrauchern erheblich – bis an die 70 Prozent – eingebrochen. „Eigentlich gibt es die Nachfrage nur noch von Krankenhäusern, alles andere ist geschlossen. Während die Nachfrage nach großen Orangen und die wetterbedingte Warenverknappung für einen Preisanstieg sorgten, bleiben wir auf den Saftorangen sitzen“.

Dieter Krauß ist Vorstand der Verwaltungsgenossenschaft eG des Fruchthofs Berlin. Er pflichtet Wörfel bei: „Der Markt ist ausreichend versorgt, gemessen am Bedarf sogar überversorgt. Insofern kann man die wetterbedingte Knappheit sogar als Marktbereinigung interpretieren. Coronaunabhängig muss man feststellen, dass es generell an Lebensmittelwertschätzung mangelt. Sobald das Gemüse durch die Verlangsamung der Vegetation in den spanischen Gewächshäusern aufgrund der Schlechtwetterlage in Spanien sich kurzzeitig verteuerte, war das Geschrei groß.“ Durch die Nachfrage bedingt, habe jedes Unternehmen mehr oder weniger große Einbußen, für einige Unternehmen, die den Fokus auf die Gastronomie setzten, sei die gegenwärtige Situation ruinös. „Zwei alteingesessene Unternehmen sind inzwischen insolvent und Versicherungen greifen angesichts höherer Gewalt nicht.“

Sorgen der Obstgroßhändler

Infolgedessen sieht er die aktuelle Alarmpresse zur Versorgung mit Obst und Gemüse noch in anderem Kontext: „Noch können wir die Versorgung gewährleisten, aber wie lange noch? Die Nachrichten sind ernstzunehmende Befürchtungen.“ Dieter Krauß sieht die 70 Großhändler des Fruchthofs in erster Linie von der Politik im Stich gelassen: „Bislang wird den Großhändlern die Miete, trotz Verdienstausfall, lediglich gestundet, als ob der Ausfall irgendwann aufgeholt werden könne!“ Die Forderung nach einer umsatzorientierten Miete würde wie ein Ping-Pong zwischen Finanz- und Wirtschaftssenator hin und her delegiert. „Mit Verweis auf die EU-Beihilfeverordnung wird dies verweigert, auch wenn dies gängige Praxis in diesen Zeiten bei Privatvermietern ist.“ Vermieter sei die Stadt Berlin, Generalmieter ist der genossenschaftliche Fruchthof mit 85.000 Quadratmetern Fläche für seine 70 Großhändler auf den insgesamt 320.000 des Berliner Großmarkts

Früchte auf dem Großmarkt
Früchte auf dem Großmarkt.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Im Zuge der Berlin-Frage nach dem Zweiten Weltkrieg ergab sich der Bedarf einer Alternative zum Großmarkt in der Nähe des Alexanderplatz im russischen Sektor. „In Hamburg oder München sind die Großmärkte im Besitz der Stadt, der Fruchthof Berlin hat mit seiner Selbstorganisation eine historische Sonderrolle.“ Gibt die Politik den Großhändlern in dieser Zeit eine Perspektive? „Nur schöne Worte“, sagt Dieter Krauß. Den Händlern bleibt, aus den Zitronen Limonade zu machen.

„And all that I can see
Is just a yellow lemon tree“

Fool’s Garden

Beitragsbild (oben): siculodoc – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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