Während der bekannteste Wildschwein-Fan Obelix im Berliner Museum für Kommunikation im Rahmen einer Ausstellung gefeiert wird, bietet Thomas Barthelmes an seinem Stand in der Kreuzberger Markthalle IX Wurstwaren als schmackhaftes Angebot von Wildfleisch an. Beim lebensmittelmagazin.de geht’s heute um die Wurst.
„Alles begann während der Corona-Epidemie beim Experimentieren mit Wildfleisch. Ich habe mich dabei gemeinsam mit einem Jäger-Freund auf die Zubereitung von Wild spezialisiert“, erzählt Thomas Barthelmes.
Wilde Kreationen
Heute verkauft er an seinem Stand „Wilde Wurst” in der Kreuzberger Markthalle IX vor allem Bratwurstkreationen aus Wildfleisch mit abwechslungsreichen Würzungen, wie beispielsweise Zitronen/Thymian/Parmesan, persische mit getrockneter Limette, Minze/Koriander/Cumin oder klassisch mit Majoran/Wacholder/Piment. Daneben gibt es noch Merguez und Chorizo, aber auch Leberkäse und Leberwurst. Alles ist auf Basis vor allem von Wildschwein, so sind etwa die Merguez zu 100 Prozent aus Wildschwein. Teilweise sind aber beispielsweise die Bratwürste, sowie Merguez und Leberkäse rezepturbedingt gemischt mit Rotwild. Und im Zutatenverzeichnis findet man doch auch tatsächlich Schweinefleisch.

Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de
„Wildfleisch ist von Natur aus fettarm mit rund 20 Prozent Fettgehalt, deswegen fügen wir gerade beim Hirsch, der noch etwas trockener ist, Schweinebauch vom Hausschwein der bäuerlichen Erzeugergemeinschaft Schwäbisch-Hall bei”, erklärt der gelernte Koch. Leber vom Wildschwein ist übrigens etwas schwieriger zu bekommen, Sie ist Teil des sogenannten kleinen Jagdrechts, das vorsieht, dass dem Jäger Leber, Herz und Nieren vorbehalten sind, sodass in der Leberwurst neben dem Fleisch vom Wildschwein eben Leber vom Hausschwein ist.
Kräftiger Geschmack
Das bereits bis zu zwei Wochen abgehangene Fleisch bekommt er direkt vom Jäger, quasi dry-aged. Hauptunterschiede zwischen Wild- und Zuchtfleisch liegen für ihn im Geschmack und der Verarbeitung: „Wildfleisch hat deutlich mehr Eigengeschmack, der sich auch saisonal ändert. Man muss nur aufpassen bei Keilern in der Rauschzeit. Deren Fleisch kann man für die Verarbeitung nicht verwenden. Ansonsten ist das Fleisch fleischiger in seinem Geschmack, mehr Umami, dunkel. Wurstwaren aus Wildfleisch vertragen kräftige Gewürze wie Majoran, Wacholder oder Piment zum Betonen. Andererseits benötigt man aber nicht die Mengen, wie man sie bei Zuchtfleisch nutzt, sondern viel weniger Gewürze und vor allem Salz”, erklärt Thomas Barthelmes.
Rund 200 bis 300 Kilo Wildfleisch verarbeitet er im Monat, vor allem Nacken und Schulter. Das entspricht in etwa fünf bis sechs Wildschweinen.


Fotos: Thomas Barthelmes von Wilde Wurst
Seine Wurstwaren kommen allgemein gut an, der Kundenstamm ist bunt gemischt. Der Anteil an Hausschwein mildert den Wildgeschmack ab, der ansonsten möglicherweise den einen oder die andere abschreckt „Aber gerade die älteren freuen sich, wieder Zugriff auf Wildfleisch zu haben, etwas das früher wesentlich öfter auf den Tisch kam”, meint Koch Thomas Barthelmes.
Nicht nur Hobby
Einer der Jäger, von denen der Koch sein Fleisch bezieht, ist Konstantin Biermann. Im Gegensatz zu Thomas Barthelmes jagt er nicht zum Vollerwerb oder ist Förster, sondern jagt in seiner Freizeit hauptsächlich in brandenburgischen Jagdgebieten rund um Berlin. Hier schießt er vor allem Schwarz-, Reh-, Rot- und Damwild. Sein Hobby hat einen ernsten Hintergrund: „Wir leben hier in einer Kulturlandschaft, Felder und Wälder werden bewirtschaftet. Das bedeutet einen erheblichen aktiven Eingriff in den Lebensraum vieler Tiere vom Menschen. Dieser wird immer kleiner, was bei den Wildtieren zu Stress führt und bei einigen Arten wie besipielsweise dem Schwarzwild für eine steigende Reproduktionsrate sorgt.“ Unterstützt wird dies zusätzlich durch den Umstand, dass Felder ein reichhaltiges Buffet für die Tiere bieten, Wildschweine lieben beispielsweise Maisfelder. Aber auch in den Forststellen lässt sich Verbiss durch Schalenwild feststellen. Das bedeutet, dass Überpopulationen von Rehen, Rot- und Damwild für Forstschäden verantwortlich sind, indem sie beispielsweise die Rinde oder Knospen abknabbern. Ebenso wie Wildschweinrotten beispielsweise für immense Ackerschäden sorgen auf der Suche nach dem wertvollen Saatgut. Für den Ernteschaden haftet im Zweifelsfall der Jäger, der eben für den Schutz der Landflächen verantwortlich ist.

Foto: johan10 – elements.envato.com
Außer Landschaftspflege fällt aber auch die Hege der Tiere in den Bereich der Jäger. So gehört das Monitoring bei Krankheiten wie etwa aktuell die Afrikanische Schweinepest mit zu ihrem Aufgabenbereich. Zumeist finden sie die verendeten Tiere, die dann entsorgt werden, bevor sie andere Tiere noch anstecken können. In dem Zusammenhang sei noch mal auf bewusstes Verhalten aller hinzuweisen. Die Afrikanische Schweinepest ist für den Menschen nicht gefährlich, kann aber beispielsweise durch kontaminierte Lebensmittel an Tiere übertragen werden. Dementsprechend ist es wichtig, Lebensmittel etwa an Rastplätzen nicht offen und ungesichert zu entsorgen, um so eine potenzielle Quelle für Wildtiere zu vermeiden.
Spielregeln
Wenn Jäger Tiere schießen, so machen sie das nicht nach Lust und Laune, sondern haben sich an Jagdgesetze, das waidgerechte Verhalten, sowie die Berücksichtigung des Artenschutzes und die Sicherheit aller Beteiligten zu halten. Zu den rechtlichen Aspekten gehört beispielsweise das Einhalten der Schonzeiten, um sicherzustellen, die Tiere nicht in der Fortpflanzungszeit zu schießen. Zum waidgerechten Verhalten gehört beispielsweise das Bemühen, dem Tier einen kurzen, schmerzlosen Tod, durch den sogenannten Blattschuss, zu geben. Auch gehört die Regel „von Klein nach groß” dazu, also bei einer Gruppe von Wildtieren zwingend zuerst das Jungtier zu schießen, denn das Erlegen eines Muttertieres hätte gegebenenfalls auch den Tod des Nachwuchses zur Folge und ist in aller Regel sogar ein Straftatbestand. Umweltschutz gehört inzwischen auch zur Jagd dazu, ein Beispiel ist etwa der Gebrauch bleifreier Munition, da bleihaltige Munition sich toxisch auf Boden, Wasser und die Nahrungskette wildlebender Tiere auswirkt..

Foto: Thomas Barthelmes von Wilde Wurst
Viel zu tun
Bis Thomas Barthelmes das Wildfleisch verarbeiten kann, sind etliche Arbeitsschritte davor notwendig. Nach dem Schießen wird das Wild aufgebrochen, also am Bauch aufgeschnitten und die Innereien entnommen. Delikatessen, die nicht vom Jäger selbst verzehrt werden, wie etwa die Lunge, können diese gedörrt werden und als Snack für den Jagdhund dienen. Danach wird den Tieren die Haut abgezogen. Das Fell kann vom Gerber aufgearbeitet und weiterverarbeitet werden, klassisch wären je nach Wildtier z. B. eine Decke, oder auch ein Vorleger. Das Muskelfleisch wird zu Cuts verarbeitet und aus den Knochen kann eine Wildljus gekocht werden. „Der Rest wird entsorgt, doch gerade die jüngere Generation der Jäger tasten sich immer weiter an das ‘from nose to tail’-Prinzip an, welches eine ganzheitliche Verwertung des Tieres vorsieht.”, gibt der Jäger an.
Im Sinne der Wildbret-Hygiene kommt das Fleisch so schnell wie möglich in die Kühlung für mindestens 48 Stunden. Während der Lagerung entstehen im Fleisch enzymatische Prozesse, die dafür sorgen, dass das Fleisch immer genießbarer wird. „Im Idealfall lässt man das Tier eine Woche „abhängen“ und achtet darauf, dass es gekühlt, schattig und trocken ist”, erklärt Konstantin Biermann.
In ihrer Experimentierphase bei „Wilde Wurst“ haben beide Fachmänner zusammen zu Beginn das gesamte Fleisch der Tiere für die Wurstwaren genutzt. Heute räuchert der Jäger beispielsweise den Schinken aus der Hüfte der Tiere selber, privat in Berlin-Mitte. „Daraus kann man nicht nur Schinken machen, sondern viele Leckereien wie z.B. Steaks oder Burger Pattys”. Ob er eigentlich anderes Fleisch überhaupt noch isst? „Nur, wenn ich beim Weggehen nach einem Bier so richtig Appetit darauf habe, kann ich nicht immer widerstehen.”
Artikel-Teaserbild (oben): Konstantin Biermann