Aus holländischen Gewächshäusern kommt so viel mehr als nur Gurken und Tomaten. Lebensmittelmagazin.de ist an die holländische Küste gefahren, um sich Vanille-Orchideen im regionalen Anbau anzuschauen.
Westeuropa stöhnt über eine Hitzewelle und der Termin findet im Gewächshaus statt – erstmal keine verlockende Vorstellung. Aber das holländische Unternehmen Koppert Cress, Marktführer für Microgreens, hat seine Zentrale nicht nur fünf Autominuten vom Strand entfernt, sondern schafft in seinen Gewächshäusern mit aller modernster Technik eine angenehme Atmosphäre.

Foto: Johannes – lebensmittelmagazin.de
Plattes Land
Die Region Westland steht nicht nur für Sonne, Strand und Urlaub. Auf den Wiesen, die im 16. Jahrhundert dem Meer abgerungen wurden, stehen heute überall große Gewächshäuser wie eine gläserne Stadt. Sie bringen wirtschaftlichen Erfolg – das sieht man am modernen und hochwertigen Lebensstil der Menschen dort. Kurz vor der Einfahrt von Koppert Cress ist die Straße von einer Baustelle aufgebrochen. DACH-Account Manager Matthias Janicki erklärt: „Die Regierung möchte hier Geothermie-Technologie implementieren mit unterirdischen Kälte- und Wärmespeichern.” Vulkanische Aktivität unter holländischen Deichen? „Klimawandel-bedingt sind wir die ersten, die im Wasser stehen, wenn der Meeresspiegel weiter ansteigt. Das allein schon ist Motivation genug, mit allen erdenklichen technischen Möglichkeiten zu versuchen, nachhaltig für folgende Generationen zu wirtschaften. Dazu gehört auch die Biolandwirtschaft. Die Niederlande haben die höchsten Biostandards in Europa.”
Tue Gutes…
Koppert Cress hat unter anderem diesen ökologischen Aspekt in sein „Ikigai“ als Leitprinzip für seine Nachhaltigkeitsstrategie eingebunden. Ikigai bedeutet „Daseinsgrund“ und steht für eine japanische Philosophie, die sich mit der Suche nach dem eigenen Lebenszweck beschäftigt, wobei für den Entscheidungsprozess des Unternehmens hier der Schwerpunkt auf Umwelt, Sozialem und Unternehmensführung liegt, immer verbunden mit der Frage „Tun wir das Richtige?“
Dazu gehört der Support und die Einbindung von Tec-Startups. Matthias erklärt humorvoll: „Die entwickeln Lösungen für Probleme, über die wir uns noch gar keine Gedanken gemacht haben.” So findet man in der Abteilung „Division Q“ des Unternehmens Beispiele wie KI-basierte Insektenvernichtung mittels Drohnen-Propeller, bei dem der geflügelte Pflanzenfeind einfach im Flug geschreddert wird. Teils durchlässige Spiegel lassen nur bestimmte Lichtfrequenzen zu den Pflanzen durchdringen und reflektieren die übrigen zu Photovoltaik-Paneelen. Auch sehr eindrucksvoll: für die temporäre Wärmeisolation wird eine Art Badeschaum zwischen die Folienwände gespritzt und bedarfsweise wieder abgelassen, statt dauerhaftem, schwer recyclebarem Verbundsmaterial.
Ein bisschen wie bei Frankenstein wirkt ein großer Metallkasten, in dem überschüssige Energie wie ein Gewitter genutzt wird. Dabei entsteht aus dem Stickstoff der Luft und Wasser Salpeter – ein wichtiger Bestandteil für hochwertigen Dünger. Technisch derart progressiv ist es das Ziel des Unternehmens mit seinen 190 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern bis kommendes Jahr nicht nur CO₂ neutral, sondern CO₂ positiv zu werden.
Zu dem Ikigai gehören aber auch kostenfreie Mahlzeiten für die Mitarbeitenden. „Wir haben dazu den Rechtsstreit gewonnen, dass es sich hierbei um eine gesundheitliche Maßnahme und nicht um einen geldwerten Vorteil handelt”, erklärt Matthias. Das angebotene Essen ist pflanzenbasiert, entsprechend der Planetary Health Diet, 80 Prozent pflanzlich, 20 Prozent tierisch. Der Vertriebsmanager schmunzelt, es sei keine Einstellungsvoraussetzung Vegetarierin oder Vegetarier zu sein, Leute könnten im Zweifelsfall ihre Würstchen oder was auch immer mitbringen. Es ist oft so, dass viele Mitarbeiter nicht nur ähnlich denken, sondern auch vegetarisch leben. Bei Kürbissuppe mit Curry und Kartoffelstampf mit deftiger Soße, in der sich für den typisch holländisch süß-salzigen Geschmack Dattelstückchen und kandierte Walnuss versteckt, unterhält man sich über Vanille. Wie selbstverständlich nimmt man sich natürlich ein Kresseschälchen zum Essen mit.
Über den Tellerrand hinweg
Gibt es eine schönere Gelegenheit für ein Interview als das Gespräch beim gemeinsamen Mittagessen? Dazugekommen ist Evert Ouweneel, Vanilleexperte bei Koppert Cress: „Eigentlich ist Vanille kein typisches Produkt für Koppert Cress. Die Zucht von Microgreens benötigt wenige Wochen, während der Anbau der Vanille über zwei Jahre dauert.” Wie kommt man aber auf so eine Idee? „Vanille ist eine typische Kolonialware, früher verbunden mit Gewalt, Ungerechtigkeit und Ausbeutung. Aber hat sich heute so viel verändert? Hauptanbaugebiet ist Madagaskar. Und obwohl Vanille das teuerste Gewürz nach Safran ist, sind die Preise sehr volatil. Das bedeutet aber nicht, dass die dortigen Farmer von hohen Preisen jemals profitieren. Üblich ist, dass die Händler bei den Produzenten in günstigen Zeiten einkaufen, die Vanilleschoten werden getrocknet und zwischengelagert, bis dass die Preise steigen. Dann werden die Schoten angefeuchtet und stehen für den Verkauf zur Verfügung,” erzählt Evert. Die Menschen auf den Plantagen haben relativ wenig von hohen Preisen, denn die madagassische Regierung gibt den Bauern die Preise vor. „Eigentlich wird die Vanille in ihrer Heimat Mexiko von einer bestimmten Käferart bestäubt. Dann hatte ein Sklave Edmond Albiusherausgefunden, wie man die Vanille per Hand bestäubt. Orchideen wachsen als Epiphyten auf hohen Bäumen, bei deren Bewirtschaftung die Arbeiterinnen und Arbeiter zum Klettern gezwungen sind.“
Hinzu kommen Faktoren wie Plünderungen durch Kriminelle der Plantagen oder auch einfach nicht kalkulierbare Umwelteinflüsse, die eine ganze Vanille-Ernte zunichtemachen können. „Ein Sturm beispielsweise und der Bauer kann die Ernte vergessen. Deswegen ernten die Farmer, sobald sich die Schote vollständig ausgebildet hat. Sie können aber nicht das Risiko eingehen zu warten, bis die Schote komplett ausgereift ist. Das geht zu Lasten des Aromas. Ich würde Biovanille oder auch Fairtrade aus Madagaskar eher in Frage stellen. Außerdem kommt aktuell hinzu, dass der größte Vanille-Importnation Amerika unter der Trump-Administration Madagaskar mit 40 Prozent Zoll besteuert, während andere Länder weiterhin bei zehn Prozent liegen. Die Folge ist, dass die Farmer Vanilleanbau aufgeben, um jetzt auf Kakao und Kaffee zu setzen – ein nicht sehr nachhaltiger Teufelskreis für die Bauern.”
Anderer Grund für das Unternehmen sei es noch, dass die Verarbeitung der Vanille nur schwer nachzuhalten sei und man nicht ausschließen könne, das bei der Verarbeitung nicht die optimale Hygiene und Qualitätstandards eingehalten werden. „Oft werden die Schoten der beiden kommerziellen Sorten Vanilla planifolia und tahitensis bei der Lagerung gemischt, obwohl die Vanille tahitensis ein wesentlich blumigeres Aroma hat. Es kann aber auch nicht ausgeschlossen werden, dass die Schoten unsachgemäß gereinigt werden, und sich dann beispielsweise Tenside oder Chlorreiniger als Spuren nachweisen lassen.”
In Reih und Glied
Mit der erfolgreichen regionalen Vanillezucht ist Koppert Cress aktuell der einzige Anbieter in Europa. Evert räumt ein: „Dabei ist die Vanillezucht für uns immer noch ein Prozess vom sehen, verstehen und lernen. Als wir damit vor acht Jahren begonnen haben, sind uns zunächst 80 Prozent der Pflanzen eingegangen aufgrund einer Pflanzenkrankheit.”
Bereits im Eingangsbereich des Gewächshauses denkt man beim Geruch an einen Backofen, in dem die Plätzchen gleich fertig sind, ein angenehmer Duft hängt in der Luft. Das sind aber nicht die Orchideen, die diesen Duft verströmen oder die Schoten, die daran hängen. „Der Geruch kommt aus dem Fermentationsraum“, erklärt Evert.

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Hier im Gewächshaus werden sowohl Vanilla planifolia wie auch tahitensis angebaut. Anders als auf den Vanille-Inseln, wachsen die Vanille-Orchideen nicht auf Bäumen, sondern in einer über die Jahre selbst entwickelten Granulat-Mischung. Geschützt durch das Gewächshaus vor dem Großteil äußerer Einflüsse, könnten sie auf den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln verzichten. Tausende von Hybridpflanzen stehen hier auf tausenden Quadratmetern, Generationen in Reihen und Glied. Es dauert ein paar Minuten, bis man zu den Pflanzen kommt, an denen bereits Schoten hängen, es dauert immerhin auch über zwei Jahre, bis dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Blüten von Hand bestäuben. „Die Erfahrenen schaffen 300 Blüten pro Stunde”, gibt Evert zu bedenken. Die Schoten benötigen sechs Wochen zum Wachsen und weitere acht Monate zum Reifen, bis dass sie gelbe Punkte auf der Oberfläche zeigen, bzw. als sogenannte red Vanilla mit aromatischen Zuckerkristallen über und über bedeckt sind. Der Name kommt daher, dass die Enden in rotes Bienenwachs getaucht werden, weil sie ansonsten aufplatzen würden. Sie sind nicht nur deutlich größer als handelsübliche Vanillestangen, fast Unterarmlänge, sondern Ewert versichert auch, dass der Vanillingehalt bei 2,6 Prozent gegenüber üblichen 1,2 bei der Bourbonvanille liegen. Das Aroma ist dadurch komplexer und blumiger als die Bourbonvanille.


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Koppert Cress verkauft Vanilleschoten auch im unfermentierten Zustand, um Gastronomen beispielsweise die Möglichkeit anzubieten, eigenständig zu fermentieren. Der typische Vanillegeschmack entwickelt sich erst nach dem Fermentationsprozess, vorher ist er eher grün-grasig. Vor der Fermentation werden die Vanillestangen sortiert, mit Wasser gereinigt und bei 65 Grad Celsius Keime abgetötet. Im Fermentationsraum herrschen angenehme über 30°c bei hoher Luftfeuchtigkeit, wobei diese von den Schoten kommen, denen die Feuchtigkeit entzogen werden soll. Bei dieser Konzentration des Vanilledufts, erscheint dieser übrigens nicht mehr blumig-vanillig, sondern eher nach Rosinen und hölzern. Anvisiert sind dieses Jahr 185.000+ Vanilleschoten.

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Nicht nur hübsch für Deko
1987 begann die Firma mit Pflanzen für den Gartenbau und Saatgut. Um die Jahrtausendwende herum spezialisierten sie sich auf die Microgreens oder, wie sie diese nennen, als Kressen als Form von Pflanzenkeimling. Was wichtig für Matthias ist: Diese Kressen sind nicht nur dazu da, einen Teller auszudekorieren, sondern sie sind auch gesund und bringen geschmackliche Abwechslung. So hätte Brokkolikresse ein Vielfaches an Sulforaphan gegenüber der ausgewachsenen Pflanze. Das ist ein sekundärer Pflanzenstoff mit antioxidativer und entzündungshemmenden Eigenschaften. „Die Menge an Sprossen sind wesentlich leichter ins Essen zu bringen als vergleichbare Mengen an Brokkoligemüse”, meint der DACH-Account Manager.

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Und was den Geschmack betrifft: neben den spannenden, interessanten Geschmacksrichtungen, die es unter den 30 Kressen und 70 Pflanzen insgesamt gibt, gibt es den Sechuan Button. Es war schon eine kleine Mutprobe, den kleinen gelben Knopf im Mund zu zerkauen. Die ersten Sekunden passierte gar nichts und dann entwickelte sich erstmal eine ungewöhnliche Schärfe, dann kam ein Kribbeln im Mund, wie man es vom Sichuan-Pfeffer kennt und feuerwerkartig poppten die nächsten Minuten die Geschmackseindrücke, wie Kampfer, Anis-Bonbon, Meerrettich-Schärfe auf und verschwanden nach wenigen Augenblicken wieder. Alles was übrig blieb, war ein sehr sauberes Gefühl im Mund, wie nach einer Zahnreinigung. „Runterdosiert, wird das beispielsweise bei Cocktails oder Desserts eingesetzt, um das Prickeln hervorzurufen. Der Wirkstoff im Szechuanbutton heißt Spilanthol”, meint Matthias.

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