Hilfsgüter in die Ukraine: Zusammenarbeit der Lebensmittelwirtschaft mit der Politik

Seit Anfang März rollen LKWs mit Nahrungsmitteln in Richtung Ukraine. Zentrale Bedeutung hat hier die Koordinierungsstelle des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft. Lebensmittelmagazin.de hat mit Vertreter:innen der Lebensmittelwirtschaft und des Ministeriums gesprochen.

„Seit nunmehr drei Wochen greift Putin die Menschen in der Ukraine an. Täglich erreichen uns neue Berichte über weitere schreckliche Zerstörungen. Solidarität mit der Ukraine und ihren Menschen ist eine Frage der Ehre. Ich danke allen Unternehmen in Deutschland, die so schnell und unbürokratisch Hilfe leisten. Ich bin froh, dass dank der Koordinierungsstelle bereits in den ersten Wochen so viele LKW-Ladungen mit Nahrungs- und Lebensmitteln auf den Weg in die Ukraine gebracht werden können. Wir tun alles, um den Menschen in den Kriegsgebieten zu helfen“, sagt Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft, dem Lebensmittelmagazin.

Cem Özdemir, Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft.
Foto: © BMEL/Thomas Trutschel/photothek

Schnelle Hilfe

Anfang März wurde die Koordinierungsstelle im Rahmen des bilateralen Kooperationsprojektes Agritrade Ukraine des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) eingerichtet, um Unternehmen des Lebensmitteleinzelhandels und der Ernährungswirtschaft, die einen Beitrag zur Versorgung der Menschen in der Ukraine mit Lebensmittelhilfen leisten möchten, zu unterstützen. Ziel ist es, Nahrungsmittel schnell, bedarfsgerecht und zielgerichtet in die Ukraine zu bringen.

Lebensmittel in die Ukraine

Doch wie läuft die Logistik über die Koordinierungsstelle ab? Dazu erklärt eine Sprecherin des BMEL: „Zunächst treten mögliche Spenderinnen und Spender an die Koordinierungsstelle heran und signalisieren die Bereitschaft mit Spenden zu unterstützen. Dafür werden dann in einer E-Mail an die möglichen Spendenden die wesentlichen Daten erfragt (was, wann, wo, wie), damit die ukrainische Seite, welche die Hilfsgüter zielgerichtet ins Landesinnere bringt, über die zu erwarteten Kontingente vor Abholung informiert ist.“ Ansprechpartner vor Ort ist für das BMEL das ukrainische Ministerium für Ernährung und Landwirtschaft. Aktuelle Bedarfslisten würden von dort ebenfalls übermittelt. Weiter schildert die BMEL-Sprecherin: „Die Koordinierungsstelle bekommt eine Hub-Adresse genannt, an der die angemeldete Tour abgeladen werden soll. Sie kommuniziert an die Spendenden und die Spedition diese Adresse und gibt den Kontakt und weitere Informationen an die Versendenden weiter.“ Deutsche Speditionen transportieren die Waren. Dies geschieht zum Teil mit eigener Logistik, mitunter werden aber auch externe Speditionen hierfür beauftragt. Die Lebensmittel würden zunächst an die offiziellen, ukrainischen Anlieferstellen (Hubs) in Nähe der EU-Außengrenze zur Ukraine transportiert. Über die offiziellen ukrainischen, staatlichen Stellen wird die Abholung der Güter in die Ukraine organisiert. Der Großteil wird über das Drehkreuz Lemberg (Lviv) weiter in die einzelnen Versorgungsgebiete geleitet. Parallel erhält die Koordinierungsstelle die Frachtpapiere, die LKW-Nummer und die Fahrerinformationen und leitet diese Informationen an das Hub vor Ankunft weiter. Nach der Ankunft wird die Ware am Lager abgeladen und in die Listen vor Ort eingepflegt. Die Koordinationsstelle erhält dementsprechende Rückmeldung über den weiteren Einsatz und die Verwendung der Güter von Seiten der ukrainischen Partnerinnen und Partner. Laut der BMEL-Sprecherin wurden so innerhalb von 13 Tagen bereits über 1.300 Tonnen Deutsche Lebensmittel und Hilfsgüter durch 74 komplette LKW-Ladungen z. B. nach Kharkiv, Mariupol, Zaporishia und Mykolaiev transportiert, um sie an die notleidende Bevölkerung zu verteilen. Die Lebensmittel müssen aufgrund der erschwerten Bedingungen vor allem lange haltbar sein. So finden sich auf der Liste der Koordinierungsstelle unter anderem Fisch- und Fleischkonserven, Trinkwasser, Grundnahrungsmittel wie Reis, Nudeln oder getrocknete Hülsenfrüchte, Säfte, Fertiggerichte, Snacks und ganz wichtig, Babynahrung.

Hilfe wo es nur geht

Zu den bereitwilligen Spendern gehört u. a. die Handelskette der REWE Group. Raimund Esser ist Leiter der Unternehmenskommunikation. Für ihn und das Unternehmen ist die Hilfe in der Ukraine Ehrensache: „Das Bundesministerium hat eine Anfrage von 1.000 Tonnen Lebensmittel als Hilfe für die Ukraine an uns gerichtet und dann haben wir europaweit 1.000 Tonnen Lebensmittel stattgegeben.“ Die Hilfe erfolgt in enger Abstimmung zwischen den Landesgesellschaften der REWE Group in Rumänien, Ungarn, Tschechien, Slowakei, Bulgarien, Litauen und Deutschland, um den Anforderungen für 1.000 Tonnen effizient und mit möglichst kurzen Wegen entsprechen zu können. Das sind die Vorteile eines internationalen Unternehmens, das eigenständig auf europäischer Ebene effizient planen und handeln kann und gleichzeitig auf lokaler Ebene Hilfsaktionen von Kommunen, Partnerschaftsvereinen, NGOs, Kirchengemeinden oder lokalen Initiativen unterstützt. Das Tochterunternehmen DER Touristik vermittelt beispielsweise via Internetseite Unterkunftsmöglichkeiten für ankommende Ukrainer:innen.

Zug um Zug

Stefanie Sabet ist Geschäftsführerin der Bundesvereinigung der Deutschen Ernährungsindustrie (BVE). Der Verband hat in diesen Tagen Rücksprache mit seinen Mitgliedern gehalten, um sich ein Bild von der Hilfsbereitschaft seiner Mitglieder zu verschaffen. Sabet lobt die Effizienz und den Erfolg des Einsatzes der Koordinierungsstelle des Bundesministeriums. Sie kann aber auf Grundlage der Mitgliedergespräche die Ergebnisse noch ergänzen: „Die Koordinationsstelle richtet sich in erster Linie an Großspendende, wie beispielsweise die fünf Handelsketten in der Bundesrepublik. Diese können aus ihren Lagerbeständen heraus ganz andere Mengen an die Ukraine spenden, als die vielen mittelständischen Unternehmen, die den Großteil unserer Branche ausmachen. Bei unserer Umfrage kam heraus, dass mehr als doppelt so viele Unternehmen auf alternativen Wegen der Ukraine helfen.“ Naheliegend sind dabei Geldspenden an das UNHCR, der Flüchtlingshilfe der Organisation der Vereinigten Nationen, die beispielsweise eng mit dem World Food Programme zusammenarbeitet. „Viele unserer Mitglieder unterstützen auch ihre Handelspartner und Zulieferer, wie z. B. Landwirte in der Ukraine, auch wenn die Arbeit in der Landwirtschaft, wie gegenwärtig die Getreidesaat, aufgrund der Gefährlichkeit in der Kriegslage brachliegen muss. Das wirtschaftliche Fortkommen liegt im Interesse aller“, meint die Geschäftsführerin.

In der Nacht zum 11. März ist ein erster Zug mit Hilfsgütern für die Menschen in der Ukraine gestartet.
Foto: Deutsche Bahn AG/Oliver Hermann

Hilfe übers Gleis

Neben den Maßnahmen der Koordinierungsstelle werden auch Nahrungsmittel und Hilfsgüter von bislang ungefähr 350 Tonnen über die sogenannte „Schienenbrücke“, initiiert von der DB Cargo und DB Schenker, in die Ukraine transportiert. Per Container auf Güterzügen gelangen die Spenden mit Hilfe des europäischen Bahnnetzwerks in Kooperation mit der polnischen Tochter der DB Cargo und der ukrainischen Eisenbahn ins Kriegsgebiet. Die BVE-Geschäftsführerin erklärt zur Notwendigkeit dieser Maßnahmen: „Nicht alle sind in der Lage zu flüchten. Umso wichtiger ist es für uns, hier in Deutschland diese Mittel und Wege zu kommunizieren, damit jeder Produzent weiß, wie er den Menschen in der Ukraine helfen kann. Aber als nächstes müssen wir auch schauen, wie wir die Unterstützung der Flüchtenden in den Aufnahmeländern wie zum Beispiel Moldawien oder Polen gewährleisten können. Auch hier liegen teilweise die Betriebe still, weil die Mitarbeiter den ankommenden Ukrainerinnen und Ukrainern helfen.“

Haupt-Artikelbild (oben): Lukas Gojda – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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