Musikalischer Genuss mit Hessischem Handkäs

Po-larisierend, pikant und alles andere als feine Küche, für hessischen „Handkäs mit Musik“ schwärmt man oder nimmt olfaktorisch Reißaus. Lebensmittelmagazin.de fährt zum kleinen Stinker mit geschützter, geografischer Angabe.

„Eigentlich ist es das perfekte Fitnesslebensmittel, obwohl auf der Packung der Nutri-Score auf C steht. Ansonsten besteht Handkäse zu 30 Prozent aus Milchproteinen, es sind weder Fett noch Kohlenhydrate enthalten“, erklärt Käser Stefan Niemann.

In der großen Cutterwanne der Käserei H. Birkenstock im hessischen Hüttenberg wird trockener, bröseliger Sauermilchquark mit sogenanntem Kulturkäse, der mit Rotschmierekulturen geimpft ist, vermengt. Weiterhin kommen Kümmel, Natron und Salz hinzu. Anschließend werden maschinell die Handkäse geformt. Pro Woche laufen so 40 Tonnen durch. Für die Biovarianten kommt die Quarkbasis aus einer hessischen Molkerei, für die konventionellen Varianten zusätzlich noch aus Schleswig-Holstein.

Alles Quark

Die Käsetaler liegen in Reih und Glied auf Rosten, gestapelt in Rollwagen.

Diese lagern zunächst zwei Tage lang bei bis zu 30 Grad zur Reifung. Beim Öffnen der Kammer schlägt einem ein säuerlich feuchter Dunst entgegen, denn beim Fermentieren der Rotschmierkulturen entsteht Kohlenstoffdioxid. Außerdem verlieren die Käse drei bis fünf Prozent Wasser. Vom typischen Geruch kann jedoch noch überhaupt keine Rede sein. Zudem haben die Handkäse in diesem Stadium noch einen deutlich bröckeligen Quarkkern. Sobald sie dann ihre charakteristische gelbliche Farbeerhalten, wird die entstandene Schmiere auf der Käseoberfläche mit Wasser abgesprüht. Im Anschluss dürfen die Handkäse zwei weitere Tage im Kühlhaus lagern, bevor sie verpackt und sukzessive ausgeliefert werden.

 „Auch jetzt haben die Handkäse noch einen kleinen Quarkkern, sofern sie für den Sofortverzehr nicht noch nachreifen. Je älter der Handkäse wird, umso intensiver ist sein Aroma“, informiert der Käser. Auf der Packung sind die unterschiedlichen Reifegrade zur Verbraucherorientierung dargestellt. „Dabei ist aber gerade der Handkäs ein Produkt, bei dem das Mindesthaltbarkeitsdatum mehr zur Orientierung und weniger zur Warnung dienen sollte, der schmeckt auch noch darüber hinaus, sofern sich natürlich kein unerwünschter Schimmel oder Ähnliches gebildet hat,“ erläutert Niemann.

Der Handkäs lagern auf Rosten gestapelt in Rollwagen bis zu ihrer Reifung.
Der Handkäs lagern auf Rosten gestapelt in Rollwagen bis zu ihrer Reifung.
Foto: Käserei H. Birkenstock GmbH

Lokale Spezialität, bundesweit geschätzt

Im Rest von Deutschland heißt der kleine Sauermilchkäse Harzer, mit und ohne Edelschimmel und gelegentlich mit Kümmel. In Österreich heißt er Quargel und wird oft mit Paprika gewürzt. Nur hier in Hessen heißt er Handkäs und hat eine geschützte geografische Angabe. Denn gerade hier in Hüttenberg formten die Milchbauern vor über 200 Jahren ihren Quark, eigentlich ein Abfallprodukt, zunächst mit Händen, später mit Pressen zu kleinen Talern, die sie beispielsweise auf den Märkten in Frankfurt am Main verkauften. Heute gibt es in Hüttenberg gerade noch drei Käsereien wie die von Birkenstock, die Handkäs produzieren.

Eine traditionelle Handkäs-Presse.
Früher wurde der Handkäs noch per Hand mit solchen Pressen in Form gebracht.
Foto: Käserei H. Birkenstock GmbH

Wer die Musik bestellt hat, …

Und wo spielt die Musik? In traditionellen Frankfurter Restaurants wie Solzer in Frankfurt-Bornheim wird der Handkäs mit und ohne Musik serviert, dazu am besten ein Glas sauer-gespritzter hauseigener Apfelwein. Das heißt man bekommt den Handkäs im tiefen Teller unter einem Berg roher, feingehackter Zwiebeln in einer Essig-Öl-Marinade mit Salz und Pfeffer vorgesetzt. Für die Musik sorgen die Zwiebelchen bei der Verdauung. Bestellt man also „ohne Musik“, sind die Zwiebeln nicht dabei. Bei beiden Varianten gibt es eine Scheibe gebuttertes Sauerteigbrot dazu. Üblicherweise schneidet man sich den Käse aufs Brot und isst es dann aus der Hand.

Die Käserei Birkenstock bietet ebenfalls Handkäs mit Musik an, quasi als fertigen Snack, beispielsweise für die Mittagspause. Stefan Niemann empfiehlt: „Grundsätzlich sollte man den Handkäs vor dem Genuss ein paar Stunden vorher aus dem Kühlschrank nehmen, damit der Käse sein Aroma voll entfalten kann.“

Bei der Zubereitung gibt es wie so oft Varianten: Statt Essig kann man auch hervorragend einen Schluck Apfelwein nehmen und anstelle von Öl ließe sich der Handkäs mit Musik auch hervorragend mit Schmand anmachen. Bei einer Sache sind Stefan Niemann und seine Kolleginnen und Kollegen einer Meinung: In vielen Rezepten liest man, dass man den Handkäs in der Musikmarinade ziehen lassen sollte, je länger, desto besser. „Das geht gar nicht!“

Einige Männer in der Käserei verziehen angewidert das Gesicht: „Der Essig löst dann das Eiweiß heraus und der Käse wird so weiß und hart, das kann doch keiner mögen.“

Einer unter ihnen entpuppt sich als kulinarischer Experte: „Was ich in der Weihnachtszeit ganz hervorragend finde ist, wenn man den Käse mit Balsamico und Walnüssen anmacht, das schmeckt ganz hervorragend!“

Artikel-Teaserbild (oben): Fotokombuese – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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