Hessischer Apfelwein, ein herb-frischer Genuss

Klassisch im Bembel und Geripptem, so präsentiert sich die hessische Apfelweinkultur. Lebensmittelmagazin.de genießt seinen „Äbbler“ sauer gespritzt.

Jenseits des Taunus liegt verträumt in den hessischen Hügeln die Kelterei Heil in Laubuseschbach. Aus dem Panoramafenster des Chefbüros von Christof und Martin Heil hat man einen atemberaubenden Ausblick auf Felder und Streuobstwiesen. 

Hessischen Apfelwein verbindet man häufig mit dem Saft von kleinen, sauren Äpfeln, die an alten, knorrigen Apfelbäumen wachsen. Diese stehen auf sonnigen Streuobstwiesen entlang der Lahn, sich selbst und der Natur, Wind und Wetter überlassen; ihre Früchte nicht unbedingt süß, aber charaktervoll. Die alten Römer bauten im Rhein-Main-Gebiet bereits Äpfel an, um daraus Apfelwein zu keltern, nachdem sie feststellten, dass sich in diesem Gebiet traditioneller Weinbau schwer umsetzen lässt.

Die Keltereien bekommen ihre Äpfel von Streuobstwiesen aus der Umgebung und von gewerblichen Obstanbauern. Laut statistischem Landesamt ernteten diese im Jahr 2022 ungefähr 7,7 Millionen Kilogramm Äpfeln, wovon 60 Prozent als Industrieobst vermarktet werden. Das wären circa 4,6 Millionen Kilogramm, was eine Menge von 4 Millionen Liter Apfelsaft ergeben würde. Über die Anzahl der Äpfel, die aus dem privaten Bereich angeliefert wird, gibt es keine Aufzeichnung. Es kann aber davon ausgegangen werden, dass diese bei weitem nicht reicht, um die Menge an Apfelsaft und Apfelwein herzustellen, die in Hessen produziert wird.

Die neue Kelterei Heil im hessischen Laubuseschbach.
Die neue Kelterei Heil im hessischen Laubuseschbach.
Foto: Kelterei Heil

Hege und Pflege

„Das Land Hessen zahlte in den 90ern eine Prämie von 10 DM pro gepflanztem Apfelbaum. Streuobstwiesen sind sehr wichtig für die Biodiversität. Wir haben dieses Projekt gefördert und für die hiesigen Interessenten den Schriftverkehr mit Sammelanträgen übernommen. Bislang haben wir 50.000 Apfelbäume auf diese Weise gesetzt und es kommen jährlich 1.000 Bäume hinzu“, berichtet Martin Heil. „Dafür arbeiten wir mit einer Baumschule zusammen, mit der Folge, dass der einzelne Baum 24 Euro kostet, während er im konventionellen Handel deutlich teurer ist. Dabei wechseln wir gelegentlich die Apfelsorten, zum Beispiel alte Apfelsorten wie Kaiser Wilhelm, Winterrambur, Brettacher oder Boskop“, erklärt der Chef der Kelterei.

Die Sache hat aber einen Haken: Apfelbäume anzupflanzen ist gut und schön, aber sie müssen auch gepflegt werden. Werden die Bäume nicht sachkundig geschnitten, drohen sie zu verschatten, das bedeutet, dass den Früchten durch die übermäßigen Äste das Licht zum Reifen fehlt. 90 Prozent dieser Mostobstbäume stehen auf Privatgrundstücken deren Besitzer zum Teil über 70 Jahre und damit sicherlich überfordert sind.

Apfelbaum mit reifen Äpfeln.
Äpfel brauchen Sonne zum Reifen, dafür müssen Apfelbäume regelmäßig beschnitten werden.
Foto: Kelterei Heil

Wider Schädlingen und Wetter

Nicht nur die Baumpflege stellt eine Herausforderung dar: Seit drei Jahren untersucht das Forschungszentrum in Geisenheim Apfelsorten auf Schädlingsresistenz und Trockenheitsresilienz. „Schädlinge, wie der Frostspanner, drohen heute ganze Ernten zu vernichten. Auch die alte Regel, dass sich ein erntereiches Jahr mit einem schwächeren abwechselt, gilt heute nicht mehr. Jedes Jahr herrscht jetzt das Risiko des Ernteausfalls“, meint der Apfelweinproduzent. Noch halten sich 30 Keltereien in Hessen, aber Martin Heil ist überzeugt: „Früher gab es mehr Äpfel aus der Region.“

Schutz, aber vor wem?

Seit vergangenem Jahr gehört die hessische Apfelweinkultur zum immateriellen Weltkulturerbe der UNESCO, welches die Bräuche und Traditionen der Streuobstwiesen und der Keltereien in den Fokus der Aufmerksamkeit rückt. 

Seit dem Jahr 2000 gibt es das Zertifikat der geschützten, geografischen Angabe (g. g. A.) für den Hessischen Apfelwein. 

Dazu schreibt das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz, dass die Vergärung, Klärung und Abfüllung des Erzeugnisses im Schutzgebiet, also auf hessischem Boden, erfolgt sein muss. Die Äpfel selbst, bzw. auch das Apfelsaftkonzentrat müssen nicht zwingend aus Hessen stammen.

Martin Heil muss an dieser Stelle einhaken: „Das ist die aktuelle Auslegung des europäischen Gesetzestextes zur g. g. A. ‚Hessischer Apfelwein‘ durch das Hessische Ministerium für Umwelt, Klimaschutz, Landwirtschaft und Verbraucherschutz. In der Praxis gibt es über weitere Teile der Spezifikationen, wie zum Beispiel der Herkunft der Äpfel oder die generelle Verwendung von Apfelsaftkonzentrat rechtliche Unsicherheiten, so dass nur wenige Apfelweinproduzenten das Siegel der geschützten geografischen Angabe auf ihren Flaschen verwenden.“

Was für ein Saftladen

Was hessische Keltereien von den übrigen in Deutschland unterscheidet, ist, dass üblicherweise die meisten vor allem Saft produzieren und möglicherweise ein bisschen Wein nebenbei, während die hessischen Unternehmen den Schwerpunkt auf Apfelwein legen und nebenbei ein bisschen Saft produzieren.

In der riesigen Halle der Kelterei Heil stehen neben zwölf 30.000-Liter-Tanks für Säfte aller Arten noch elf imposante 100.000-Liter-Tanks mit darin gärendem Apfelwein. Im Hintergrund befinden sich Fässer mit ausgepresster Weinhefe, die nach dem Gären noch als Schweinefutter dient, eine sehr gute Vitamin-B-Quelle für die Tiere. Nebenan werden der Apfelwein bzw. auch die Säfte automatisiert in die Pfandflaschen abgefüllt und direkt in Kästen zur Lagerung abtransportiert. In der Luft hängt der fruchtige Gärgeruch des Apfelweins.

Hier in dieser neuen Anlage findet man aber keine Äpfel. Diese werden beispielsweise von Privatpersonen mit dem PKW nach wie vor zur alten Kelterei gefahren, die nur einen Katzensprung entfernt liegt. Dort steht eine große Saftpresse, in der mittels Druckverfahren die Streuäpfel dann entsaftet werden. „Dabei ist es für die Qualität des Saftes bzw. des Apfelweines sehr wichtig, dass die Äpfel schadfrei sind“, erklärt Martin Heil.

Tanklager für Saft und Apfelwein in der Kelterei Heil.
Das Tanklager der Kelterei zeigt, in welchem Umfang hier produziert wird.
Foto: Kelterei Heil

Apfelwein, aber mit Stil

Anders als seine europäischen Verwandten wie Cider und Cidre, besticht der hessische Apfelwein vor allem durch die sauren Noten der Apfelsäure. Der herb-frische Geschmack kommt daher, dass der hessische Apfelwein durchgegoren ist, wodurch er einen etwas höheren Alkoholgehalt von 5 bis 7 Volumenprozent hat, während beim französischen Cidre der Alkoholgehalt bei 2 bis 4 Prozent liegt, je nachdem, wann die alkoholische Gärung abgebrochen wurde. Dem angelsächsischen Cider darf zusätzlich noch Zucker beigefügt werden, was den Alkoholgehalt noch ansteigen lässt.

Abends im Frankfurter Restaurant gibt es zum Essen natürlich Apfelwein. Dabei ist es durchaus üblich diesen süß- oder sauer gespritzt zu trinken, das bedeutet mit Sprudelwasser oder Zitronenlimonade. Serviert wird der „Äbbelwoi“ standesgemäß im Geripptem, einem Becherglas mit geschliffenem Rautenmuster. Zusammen mit dem Bembel, einem dickwandigen Steinzeugkrug, erinnern diese typischen, mit hessischem Apfelwein assoziierten Insignien vor allem die Älteren an die TV-Unterhaltungssendung „Zum Blauen Bock“. Seit dem Ende der 50er bis Ende der 80er Jahre trugen Moderatoren wie Heinz Schenk ordentlich zur Markenbildung und Imagepflege von hessischem Apfelwein bei.

Heute ist der Bembel vom Blauen Bock etwas angestaubt. Keltereien wie die von Heil zeigen aber Apfelwein als modernes und kreatives Getränk. Dafür investieren sie viel in Innovationen und präsentieren regelmäßig Neuheiten, etwa Apfelwein mit spannenden Pairings wie Eberesche oder Quitte.

Artikel-Teaserbild (oben): Pavel – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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