Hat noch Zeit: Lebensmittel jenseits des Mindesthaltbarkeitsdatums

Label "Oft länger gut"

Zusätzlich zum Mindesthaltbarkeitsdatum findet sich der ergänzende Hinweis „Oft länger gut“ auf immer mehr Lebensmitteln im Supermarkt. Was steckt dahinter?

Pro Jahr werden in Deutschland über 12 Millionen Tonnen Lebensmittel weggeworfen beziehungsweise gehen verloren, so die aktuellen Zahlen des Thünen-Instituts. Das umfasst Verluste bei der Ernte, in der Produktion und innerhalb der Logistik. Aber mehr als die Hälfte aller vermeidbaren Lebensmittelabfälle findet sich in den Mülltonnen von Privathaushalten. „Aber erst seit den letzten zwei Jahren richtet sich die allgemeine Aufmerksamkeit auf dieses Problem“, erklärt Victoria Prillmann von Too Good To Go. „Nur Hand in Hand können wir was bewegen“.

Laut einer Studie der Europäischen Kommission kennt über die Hälfte der Befragten den Unterschied zwischen Mindesthaltbarkeitsdatum und Verbrauchsdatum nicht. Grund genug für die Plattform, die mittels einer App normalerweise übriggebliebene Speisen von Restaurants zu reduzierten Preisen unter die Leute bringt, im November des letzten Jahres die Kampagne „Oft länger gut“ ins Leben zu rufen. Hier engagieren sich Lebensmittelunternehmen, indem sie ihre Lebensmittel zusätzlich mit dem Hinweis „oft länger gut“ versehen und so zu verstehen geben, dass sie auch nach Ablauf des MHDs meist noch genießbar sind.

Mehr Wertschätzung für Lebensmittel

Und dann kam Corona. „Jetzt ist genau die richtige Zeit dafür“, so Prillmann. „Man kocht mehr, man beschäftigt sich mehr mit Lebensmitteln. Essen schafft Komfort und Wohlsein. Genau der richtige Zeitpunkt, die Chance zu nutzen, um Bewusstsein zu schaffen.“ Hefe beispielsweise werde durch den temporären Mangel zum wertvollen Gut. Niemand käme momentan auf den Gedanken einen halben Hefewürfel wegzuwerfen. Die Wertschätzung von Lebensmitteln wächst.

Abfallreduktion bis 2025

Die Danone GmbH in Deutschland ist eines der vielen Unternehmen, die die Kampagne „Oft länger gut“ mittragen. Sina Kneis, Head of Sustainability für Danone in der DACH-Region, sieht die Kampagne im Rahmen der Reduktionsstrategie von Danone, um Lebensmittelverluste von 2016 bis 2025 um 50 Prozent zu reduzieren: „Wir vermeiden die Verschwendung von Lebensmitteln entlang der gesamten Wertschöpfungskette – Landwirte, Produktion, Handel und zuletzt die Verbraucher. Wir unterstützen unsere Vertragslandwirte mit eigenen Erzeugerberatern, unsere Produktion wird auf Ressourceneffizienz und Überproduktionsvermeidung optimiert.“

Aufklärung gegen gefühlte Sicherheit

„Der Verbraucher fühlt sich sicherer, wenn er Lebensmittel bei Ablauf des MHDs entsorgt. Dabei ist das MHD nur ein qualitativer Richtwert“, sagt Dr. Susanne Knittel, Pressesprecherin bei Danone. „Wir möchten Aufklärung betreiben und den Verbrauchern zurufen: Nutze deine Sinne – sehen, riechen, schmecken!“ Bei einem Joghurt beispielsweise setze sich nach einiger Zeit die Molke oben ab. „Das ist keineswegs ein Kennzeichen von Verdorbenheit, sie lässt sich problemlos wieder unterrühren. Oder als Geheimtipp meiner Hebamme macht sie die Haut babyweich. Und wenn die Konsistenz vielleicht nicht mehr so cremig ist, nach 6 Wochen über dem Mindesthaltbarkeitsdatum, lässt sich ein Joghurt dennoch problemlos essen. Denn das MHD ist ein Qualitäts- und kein Verbrauchszeichen“, so die Danone-Sprecherin. „In Frankreich ist das zum Beispiel ein bisschen komplizierter: Hier hat der Joghurt ein Verbrauchsdatum, was aber de facto ebenfalls nur ein Mindesthaltbarkeitsdatum ist.“

MHD vs. Verbrauchsdatum

Peter Loosen, Geschäftsführer beim Lebensmittelverband Deutschland, begrüßt die Kampagne „Oft länger gut“: „Jeder Beitrag, der dafür sorgt, dass weniger weggeworfen wird, ist sinnvoll.“ Der Lebensmittelverband selber engagiere sich seit über 10 Jahren im Rahmen der Verbraucheraufklärung gegen unnötigen Lebensmittelabfall, mit Erklärvideos, Broschüren und Informationsveranstaltungen zum Mindesthaltbarkeitsdatum im Vergleich zum Verbrauchsdatum. Trotz des Engagements stelle er aber weiterhin fest, dass die Verständnisprobleme bei den Verbraucher:innen geblieben seien und diese nach wie vor viele Lebensmittel unnötigerweise wegwerfen.

Allerdings: „In einer internen Studie haben wir evaluiert, dass der Anteil an Lebensmitteln, die aufgrund einer Missinterpretation des Mindesthaltbarkeitsdatums weggeworfen wurden, bei 15 Prozent liegt.“ Dies sei hier eher nachrangig gewesen. „Aber egal ob 15 oder 50 Prozent – es ist immer zu viel, wenn die Lebensmittel nicht schlecht aussehen, riechen und schmecken.“ Bei Milch rieche man deutlich, wenn sie sauer ist, und der grüne Schimmel auf Brot sei ebenfalls deutlich zu erkennen.

Bei abgelaufenem Verbrauchsdatum: Weg

Im Gegensatz dazu stünde das Verbrauchsdatum: Hierbei handelt es sich um mikrobiologisch sehr leicht verderbliche Lebensmittel, wie Hackfleisch oder Hühnchen, die man nach Ablauf des Datums tunlichst nicht probieren sollte. „Der Gesetzgeber lässt den Verbraucher nicht alleine“, so der Verbandsgeschäftsführer. Zudem stellt er fest, dass etliche Lebensmittel wie Obst und Gemüse weder ein Mindesthaltbarkeitsdatum noch Verbrauchsdatum haben, und hier die Lebensmittelverluste noch weitaus höher seien.

Kann denn Abfall Sünde sein?

Noch etwas stört ihn in der Diskussion: „Mit einem christlich geprägten Wertemaßstab verstehe ich unter Verschwendung eine bewusste, sündhafte Absicht. Dabei ist die Situation doch eher, dass der Verbraucher mit der Frage überfordert ist, wie viel er mit seiner Familie wohl verbraucht oder wie er beispielsweise die Lebensmittel sachgerecht lagert. Unsere Großeltern hatten noch einen Kartoffelkeller. Wer macht das heute noch, wo der Kartoffelsack nur ein paar Euro kostet?“

„In der Coronakrise zeigt sich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir alles haben.“

Peter Loosen, Geschäftsführer des Lebensmittelverbands Deutschland

Loosen sieht dafür ein anderes ethisches Problem: „Es ist eine Frage der Wertschätzung von Lebensmitteln. Diese sind manchmal so billig, dass es wirtschaftlich nichts ausmacht, sie wegzuwerfen. Jetzt gerade zeigt sich, dass es nicht selbstverständlich ist, dass wir alles haben.“ Die Coronakrise führe allen vor Augen, wie viele Menschen bei der Lebensmittelbereitstellung beteiligt sind, angefangen beim Erntehelfer, in der Produktion, in der Logistik und im Handel. Dementsprechend sei es Aufgabe und Ziel aller Beteiligten, einschließlich der Verbraucher:innen, daran zu arbeiten, Lebensmittelverluste zu vermeiden.

– Was du zu Hause tun kannst, damit weniger Lebensmittel im Müll landen. –

Artikelbild (oben): Pressefoto Too Good to go

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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