Von der zentralasiatischen Steppe nach Berlin-Mitte – die Tadshikische Teestube

Die Tadshikische Teestube – längst kein Geheimtipp in Berliner Reiseführern mehr, dafür optimaler Zufluchtsort bei aktuellem Mistwetter. Lebensmittelmagazin.de besuchte das berühmte DDR-Relikt.

Barfuß sitzt man auf kunterbunten Webteppichen und farbenfrohen Kissen am Samowar so behaglich warm und urig, wie in einer Jurte auf der zentralasiatischen Steppe am Fuße des Pamirgebirges. Über den Köpfen verlaufen kunstvolle florale, handgeschnitzte Deckenbalken aus Pappel- und Sandelholz, die in ebenso dekorative Kapitellen und Säulen übergehen und den Raum wie Arkaden in einzelne Segmente unterteilen. Entlang der grünen Wände erzählt eine großformatige, traditionelle Bilderreihe ein tadschikisches Liebesmärchen.

Die Tadshikische Teestube in Berlin-Mitte ist von innen aufwändig dekoriert.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

War nicht alles schlecht in der Ehemaligen …

Bis 2012 war die Tadshikische Teestube im ebenso imposanten Palais am Festungsgraben, dem ehemaligen preußischen Finanzamt, hinter der neuen Wache beheimatet und zog dann aufgrund von Sanierungsarbeiten nach einem Jahr Pause in den Kunsthof an der Oranienburger Straße neben der Synagoge ein. Ursprünglich war das reizende Interieur im russischen Pavillon der Leipziger Messe 1974 ausgestellt. Anstelle einer aufwändigen Rückreise nach Duschanbe wurde alles der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische-Freundschaft als Geschenk überreicht, die von 1959 bis 1999 im Palais ihren Sitz hatte. Die Tradition dieser Teekultur geht zurück auf das islamische Nomadenleben entlang der Seidenstraße in Zentralasien als Ort des Austauschs und intimer Gespräche, welches, laut Speisekarte, selbst die Zeit der Sowjetunion überdauerte.

Die Tadshikische Teestube in Berlin-Mitte.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Die tadschikische Teezeremonie

Auf einem Messingtablett bringt die Kellnerin allerlei Süßigkeiten: Neben klassischem Würfelzucker findet man Erdbeerkonfitüre, die ebenfalls in den Tee gerührt werden soll und Rumrosinen. Dazu reicht sie saftiges Orangeat, Zitronat und Fondantkonfekt, das kennt man aus gefüllten Pappmaché-Ostereiern. Außerdem gibt es Teegebäck, das sich von der üblichen deutschen Supermarkt-Selektion geringfügig unterscheidet: Neapolitaner, Engelsaugen, eine Nussmakrone mit Feigenfüllung und ein Butterkeks mit einem Spekulatius ähnlichem Relief, dass einen Samowar abbildet Ein rund zwei Liter fassender Samowar mit einem üppig mit Blumen bemalten Metallboiler strahlt bullige Wärme aus. Auf seinem Deckel über einer Art Kamin balanciert ein kleines, silbernes Kännchen mit Teekonzentrat aus kräftigem, gerbstoffreichen Assam. Man verbrennt sich ein bisschen die Finger, wenn man den Becher mit einem Drittel Konzentrat füllt. Aus einem kleinem Hahn an der Seite füllt man den Becher mit heißem Wasser ganz nach Vorliebe auf und süßt den Tee mit den vorliegenden Köstlichkeiten. Man kann sich zum Beispiel das Stück Fondant zwischen die Zähne klemmen und den Tee dadurch trinken, wie es in Zentralasien üblich ist.

Der Samowar mit dem heißen Wasser und eine Auswahl an Tegebäck.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de

Tee trinken heißt die Welt zu vergessen

Mit der heißen Tasse Tee lehnt man sich gegen sein Kissen und wirft einen Blick aus dem Fenster in den nassgrauen Märznachmittag. Leise Musik klingt im Hintergrund, noch einen Schluck Tee und man ertappt sich dabei, von vergangenen Reisen zu träumen. Zum Tee wird ein Glas Moskovskaya-Wodka serviert – ob er hilft, die Zeit zu vergessen, zu entschleunigen und die Fantasie zu beflügeln? Wie viele Luftschlösser sind hier wohl in leisen, vertraulichen Gesprächen schon gebaut worden? Gelegentlich liest am Abend eine Märchenerzählerin vor. Zusammengekuschelt lümmelt man auf den Kissen und aus Erwachsenen werden lauschende Kinder – wundervoll!

Und für den Hunger gibt es eine reichhaltige Speisekarte, die mit Pelmeni, Wareniki, Soljanka oder Borschtsch mehr über die sowjetische Vergangenheit dieses Ortes verrät.

Artikel-Teaserbild (oben): Grigoriy – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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