Mit ihren Gewürzen und dem Hang zum Süßen fällt die sizilianische Küche in der kulinarischen Vielfalt des Stiefels als Besonderheit auf. Lebensmittelmagazin.de besucht das Sicilian Streetfood Festival Berlin und unterhält sich mit einem sizilianischen Feinkosthändler.
Bei Temperaturen knapp über dem Gefrierpunkt und Aprilwetter fiel es schwer, mediterrane Gefühle aufzubringen, aber die ersten Tarantella-Klänge und Wohlgerüche halfen dabei: Die Sizilianerinnen und Sizilianer unter den italienischen Feinkostläden, Restaurants, Cafés und Caterings von Berlin versammelten sich am 20. April auf dem Gelände des Sage Beach in Kreuzberg zum Streetfood Festival.
Köstliches von der Insel
Die Kreuzberger Eisdiele Duo Siciliani hatte das Festival organisiert, um die spannenden Spezialitäten der größten Mittelmeerinsel zu präsentieren. Die Gastronominnen und Gastronomen fuhren groß auf. An allen Ecken und Enden konnte man Köstliches entdecken, z. B. Arancini, vielfältig gefüllte Reisbällchen, die knusprig frittiert werden. Natürlich gab es auch Süßes wie Gebäck, oft gefüllt mit Ricotta und Creme. Und vor allem fand man bei Süßem wie Herzhaftem Pistazien, ob als Creme, Splitter oder als Eis. Pistazie ist die „Signature-Nuss“ Siziliens, die botanisch gesehen gar keine Nuss ist, sondern ein Sumachgewächs.
Tagsüber Laden, abends Restaurant
An einem der zahlreichen Stände füllte Nicolo Sparacino kleine Cannoli, frittierte Teigröllchen mit Ricotta und Pistaziensplittern. Nach einem netten Plausch am Stand lud er zum Gespräch ein paar Tage später in sein Geschäft ein. Ihm gehört das Feinkostgeschäft Terra verde in Berlin-Schöneberg, in dem er fast ausschließlich sizilianische Köstlichkeiten verkauft. Er importiert frisches Gemüse und verarbeitete Ware aus den sizilianischen Dörfern von den Bäuerinnen und Bauern sowie kleinen Manufakturen.
Donnerstag bis Samstagabend verwandelt sich der kleine Laden in ein Restaurant, in dem sein Sternekoch sizilianisch inspirierte Fusionküche zubereitet. Man findet auf der Karte unter anderem Arancini mit Erbsen, Chili, Minze und Zitrone sowie geräucherten Scarmorza, aber auch einen Kichererbsensalat mit Zedernzitrone, Rucola, Speck und pulverisierten Bronte-Pistazien. „Auf Sizilien können alle sehr gut kochen. Wenn man ins Restaurant geht, erwartet man etwas Besonderes. Pizza wird hier viel gegessen, weil sie des Ofens wegen zu Hause nicht so gut gelingt”, erklärt der Gastronom. Eine sizilianische Variante der Pizza ist die Sfincione mit einem eher fluffigen Teig, belegt mit Tomaten und Zwiebeln, eventuell auch Sardellen und Käse wie Caciocavallo oder Pecorino.
Sizilianische Küche in Berlin.
Fotos: Terra Verde
Die bereits erwähnten Arancini, beispielsweise mit der Fleischsauce Ragù gefüllt, fallen unter Streetfood, das man tagsüber in einer Bar zu sich nimmt. Darunter versteht man übrigens weniger eine Kneipe wie in Deutschland, als vielmehr eine Cafeteria, wo man seinen Kaffee stehend am Tresen zu sich nimmt. Hier bekommt man auch kleine Pastagerichte. Typisch sizilianisch hierbei ist Pan Grantato als Topping, mit Knoblauch in Olivenöl geröstete Brotkrumen, die der Pasta ihren Extra-Crunch geben.
Ähnliche bekannt für die Region ist die getrocknete Salsiccia. Nicolo Sparacino holt eine zum Tisch und schneidet Scheiben zum Verkosten herunter. Sie unterscheidet sich etwas von der sonst als rohen Bratwurst bekannten Salsiccia. Vor allem ist sie ungemein grob, mit großen Speck-und Fleischstückchen und grob geschrotetem Pfeffer und Fenchelsamen. Jeder Biss offenbart eine andere Facette der Wurst.
Wir probieren getrocknete Salsiccia.
Fotos: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Geschützte Herkunft
Ursprünglich stammt Nicolo aus Ribera, einem Dorf im westlichen Sizilien. Seiner Familie gehört dort eine Orangenplantage. Auf die Orangen, die er auch in seiner Auslage verkauft, ist er aus besonderem Grund stolz: Washington Navel Orangen wurden als erste Orangen in der europäischen Union mit einer geschützten Ursprungsbezeichnung, der Denominazione d’Origine Protetta, versehen. Von diesen Früchten wird nicht nur das Fruchtfleisch verzehrt oder werden sie als Saft getrunken, sondern auch die dicke Schale wird kandiert und zu einer Süßigkeit zubereitet. Die Sorte kam Anfang des 19. Jahrhunderts mit den Spaniern direkt aus Kalifornien nach Sizilien..
Die Spanier brachten darüber hinaus auch eine Schokoladenspezialität mit. Die Cioccolata die Modica (Schokolade aus Modica) gilt als geschützte Spezialität. Sie soll dem ursprünglich aztekischen Rezept sehr nahekommen. Dafür werden die wenigen Zutaten, Schokolade und Zucker, sowie in diesem Fall etwas Chili, kalt geschlagen. Da sich aufgrund der Temperaturen der Zucker nicht auflöst, ist die Schokolade bittersüß und scharf zugleich und man hat ein knisterndes Gefühl im Mund.
Foto: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Völkerwanderung
Aber was haben eigentlich die Spanier mit Sizilien zu tun? Nicolo erklärt: „Sizilien wurde im Laufe der Geschichte von allen möglichen Völkern besiedelt. Nach den Griechen und Römern stand es lange unter arabischer Herrschaft, bis es am Anfang des letzten Jahrtausends die Normannen eroberten. Denen folgten die deutschen Stauffer und Franzosen, bis Sizilien Anfang des 14. Jahrhunderts unter spanische Herrschaft geriet. Erst im 19. Jahrhundert gliederte es sich ins neue Königreich Italien ein. Und alle Völker haben ihre Spuren auch kulinarisch hinterlassen. Das macht die sizilianische Küche so reich.”
Externer Einfluss
Die Griechen brachten bereits in der Antike den Weinbau nach Sizilien. Heute gilt die Region mit seinen Nachbarinseln mit insgesamt 150.000 Quadrathektar als größtes Weinanbaugebiet von Italien. Von hier kommt der Dessertwein Masala aber auch die Rebsorte Nero d’Avola. „Früher haben die Franzosen hochwertigen, robusteren sizilianischen Wein für die Coupage, dem Verschnitt ihrer eigenen Weine, zum qualitativen Ausgleich gekauft. Das würde aber heute gegen geltendes Recht verstoßen”, weiß Nicolo. Die Araber führten Obst wie Zitrusfrüchte, Gewürzen und auch Pistazien auf der Insel ein. Eine solche Herkunft hat die herbfruchtige Limonade aus Zedratzitronen, die der Feinkosthändler zur Erfrischung serviert.
Berühmt sind die ebenfalls herkunftsgeschützten Pistazien von Bronte, einem Dorf am Fuß des Vulkans Ätna. Auf dessen Lavatuff-Gestein wachsen die uralten Pistazienbäume. Der überschaubaren Ausbeute steht die wachsende Lust auf Pistazien gegenüber: „Das Kilogramm Bronte-Pistazien kostet heute 80 Euro”, weiß der Fachmann und hält eine Tüte Pistazien-Busiata (Pasta ähnlich wie Fussili) in der Hand.
Inzwischen gäbe es nahezu alles mit Pistazien. Besonders beliebt sei Pistaziencreme als Alternative zur Haselnussschokoladencreme. Auch Gewürze wie Safran werden auf der Insel angebaut, ein arabisches Erbe. Und nicht zuletzt sei die Angewohnheit, geröstete Kichererbsen als Knabberkram zu snacken, auf den arabischen Einfluss zurückzuführen. „Auch die süß-saure Note oder die Zugabe von Rosinen und Mandeln in vielen klassischen sizilianischen Gerichten wie der Caponata gehört zum kulinarischen Vermächtnis der Araber”, ist der Feinkosthändler überzeugt.
Zurück zum Festival
Genau dieser Duft nach geschmorten Gemüse zog auch durch das Hauptzelt des Festivals ein paar Tage zuvor. Die Jungs vom Sandwichladen AL99 rührten im Topf mit Caponata. Einer von ihnen erklärte: „Die Paprika und Zwiebeln werden grob gehackt und im Ofen geschmort. Auberginen werden in der Pfanne angebraten, bevor die Tomaten dazu kommen. Wenn alles soweit durchgegart ist, wird das Gemüse mit Kapern vermengt, damit es sich geschmacklich verbindet. Je länger das Gemüse zieht, umso leckerer.” Im Brot serviert war die Caponata eine kleckernde aber köstliche Angelegenheit.
Caponata im Brot wird zubereitet.
Fotos: Johannes S. – lebensmittelmagazin.de
Ein ähnlicher Gaumenschmaus versteckte sich im Topf daneben: Stracotto, geschmortes Kalb mit Pistazien-Pesto, zartes Fleisch mit besonderem Crunch.
Eine andere sizilianisch-arabische Delikatesse, die man auf dem Festival fand, ist noch gar nicht so altehrwürdig und traditionell: Couscous Trapanese. Die Konditorei Dolci e Salati, wie der Name verrät zuständig für Süßes und Herzhaftes, präsentierte dieses Crossover-Gericht. Der Couscous war eher risottoartig, schlotzig und mit Muscheln gekocht. Ungewöhnlich, aber lecker: das Couscous-Meeresfrüchte-Gericht wird mit Pecorino abgeschmeckt. Im Laufe der letzten Jahrzehnte hat sich im Westen Siziliens um die Stadt Trapani herum eine nordafrikanische Community etabliert, die vor allem aus dem Maghreb per Schlauchboot die gefährliche Reise nach Europa angetreten hatte. Auch sie hat bereits ihren kulinarischen Fußabdruck hinterlassen, wie so viele vor ihr.
Artikel-Teaserbild (oben): Terra Verde