Was geht? Von Lebensmitteltrends und kulinarischen Moden

Was wir morgen essen, weiß Karin Tischer schon heute: Lebensmittelmagazin.de hat sich mit der Food-Trendforscherin unterhalten, deren Trendanalyse FoodZoom pünktlich zur Hamburger Gastro-Messe Internorga erschien.

„Ich erinnere mich, vor einigen Jahren in New York in der Bäckerei „Valencia“ Cupcakes mit den Figuren aus der Sesamstraße gesehen zu haben, ein paar Wochen später war Krümelmonster als Cupcake überall bei uns. Dabei ist die Entwicklung eines Trends oftmals sehr komplex, jedes Mal anders und schaukelt sich wie beim Ping Pong hoch. Wir unterscheiden zwischen langanhaltenden Megatrends, mittelfristige Trends und kurzweilige Mode-Erscheinungen“, meint Karin Tischer, eine der gefragtesten Food-Trendforscher:innen in Europa und Inhaberin vom Forschungs- und Entwicklungsinstitut food & more für Lebensmittel und Getränke in Kaarst. Sie entwickelt Konzepte, Innovationen und Rezepturen.

Krümelmonster-Cupcakes waren zeitweilig vielerorts zu finden.
Foto: Alvaro- stock.adobe.com

Auch Trommeln will gelernt sein

Ebenso schwierig sei es, einen Trend aktiv zu setzen: „Oftmals sind die Akteure zu aggressiv, das Programm ist nicht stimmig und trotz des vielen Trommelns fühlen sich Verbraucher:innen nicht abgeholt. Veganismus beispielsweise hat eine starke mediale Präsenz und hohe Verkaufszahlen der entsprechenden Kochbücher. Und trotz dieser Maßnahmen bewegt sich die Zahl der Veganer:innen in Deutschland kaum von der Einprozent-Marke weg. Stattdessen orientiert sich eine breite Mehrheit der Bevölkerung im Zuge der stärkeren Gesundheitsoptimierung hin zur pflanzenbasierten Ernährung, die weniger Fleisch, Geflügel und Fisch vorsieht. Diese haben dann aber vermehrt höhere Qualität.“ Karin Tischer nennt das Plantarismus.

Pflanzenfreunde

In diesen Kontext fallen auch die pflanzenbasierten Protein-Alternativen. „Das ist ein gerade besonders turbulentes Gebiet, bei der eine vorher nie dagewesene Vielfalt angeboten wird. Inzwischen erfahren die Produzenten auch schon Marktbereinigung, weil es mittlerweile bessere Alternativen zu den Alternativen gibt“, meint die Trendforscherin. Bei diesen Fleischalternativen würde es sich meistens um wissenschaftlich komplexe Produkte mit hohem lebensmitteltechnologischem Anspruch handeln. „Geschmack, Optik und vor allem die Textur stellen hierbei eine besondere Herausforderung dar“, erklärt sie. 

Die Food-Expertin ist überzeugt: „Ein Großteil der Verbraucher:innen entscheidet sich erst im Supermarkt für eine Mahlzeit. Das gilt auch für pflanzenbasierte Produkte. Bezeichnungen wie Schnitzel, Kebab oder ähnliches für die pflanzlichen Fleischalternativen geben ihnen dabei Orientierungshilfen, worauf sie Appetit haben. Die Menschen sind Gewohnheitstiere. Beliebte Speisen möchten viele Verbraucher:innen wiederholt erleben. Das riesige, vielfältige Angebot, das ich verkosten durfte, kann hervorragend schmecken, bisweilen aber auch ganz gruselig ausfallen“, lacht sie. Dieser Trend wird auf der anderen Seite von einem Dilemma gebremst, der „pseudogesunden Verhaltensweise“, wie Karin Tischer es bezeichnet: „Die Verbraucher:innen waren noch nie so aufgeklärt wie heute, wie sie sich ernähren sollten, sind aber inkonsequent bei der Umsetzung. Durch das resultierende schlechte Gewissen entsteht ein Bedürfnis nach Frische, vor allem in Form von Salat, Gemüse, Obst, gesunden Säften und Smoothies.“

Ein begrüßenswerter Trend sei die Fermentation, beispielweise von Pilzen, was nicht nur geschmacklich sehr förderlich, sondern obendrein auch sehr gesund sei. Ein Hype, der seine Umsetzung auch im Kopenhagener Restaurant Nomi findet. „Hier wurde beispielweise Kombuchapilz als Steak zubereitet. Kreativ inspirierend sind beispielsweise gequollene, fermentierte Körner, wie Gerste, Hafer, Dinkel, Kürbis und Buchweizen. Sie können sowohl vom Profi als auch zuhause in Brot und Backwaren verarbeitet werden, was zusätzlichen geschmacklichen Kick gibt.“

Die Fermentation von Körnern und Gemüse ist ein Trend, den jeder ausprobieren kann.
Foto: Hamburg Messe und Congress/UNIFERM GmbH & Co.KG

Schleichend und revolutionär

Grundsätzlich diagnostiziert die Food-Trendforscherin eine schleichende Geschmacksänderung bei den Verbraucher:innen, zusätzlich zum Phänomen des unterschiedlichen Geschmacks der Generationen. „Während Kinder beispielweise keine Stückigkeit in Saucen mögen, wird im Alter auffallend stärker gesalzen sowie gewürzt (durch nachlassenden Geschmack im Alter) und Gelerntes eher abgerufen, als Neues ausprobiert.“ Neuzeitig ändert sich das Geschmacksbild schleichend und revolutionär: Bei der pflanzlich orientierten Kost fehlt vielen der ursprüngliche Referenzgeschmack von Fleisch, den sie lange nicht mehr hatten, möglicherweise mitunter sogar noch nie. Dementsprechend ist es eine sehr große Herausforderung für die Lebensmittelindustrie sowie die Gastronomie den Gaumen der Konsument:innen zu erfreuen. Gleiches gilt für die Verbraucher:innen zu Hause in der Bemühung Familie und Freunde genussvoll zu begeistern.

Der siebente Sinn

Mit dieser Maßgabe wundere es nicht, dass laut der Expertin 75 bis 98 Prozent je nach Produktbereich aller Marktneueinführungen Flops sind. Durch ihre eigenen Hände gehen tagtäglich neue Rezepturen und stolz blickt sie auf eine Floprate von 0 Prozent: „Marktforschung alleine ist nicht die Lösung, es kommen genug Produkte auf den Markt, die zuvor hervorragend getestet wurden und dann trotzdem scheitern. Man braucht eine gewisse Grundbegabung, viel Fachwissen und ein sensibles Gespür für den aktuellen Geschmack und die Sensorik der Verbraucher:innen.“ Einen wichtigen Teil ihrer Zeit verbringt die Trendforscherin und Foodentwicklerin auch auf Reisen, um in die Kochtöpfe und Teller anderer Kulturen zu schauen. Bisher hat sie das schon in 50 Ländern auf sechs Kontinenten getan.

Trendsache Ei

Aktuelle Trends setzen laut der Expertin Frühstück und Streetfood, unter anderem in Form von Eiern. „Die Verbraucher:innen in Deutschland lieben Eier. Internationale Eierspeisen als Frühstücksgerichte, süß wie pikant, erfreuen sich äußerster Beliebtheit. Eier sind wahre Verwandlungskünstler, man denke an Shakshuka, pochierte Eier in Tomatensauce aus Israel oder auch Turkish Eggs Eier in Joghurt mit Paprikabutter. Auf Instagram sieht man Foodies hartgekochte Eier über ihre Kreationen hobeln, als Grated Egg. Und in der Gastronomie sowie im Lebensmittelhandel findet man inzwischen vegane Ei-Alternativen, die aber zugegebenermaßen meistens noch nicht an die Qualität des Originals heranreichen“, erklärt der Trendforscherin.

Ein neuer Trend ist, gekochtes Ei über sein Essen zu hobeln, genannt Grated Egg.
Foto: Hamburg Messe und Congress/food & more

Die Form der Mahlzeiten wandelt sich noch stärker als bisher. „Statt fester größerer Mahlzeiten, wie Frühstück, Mittagessen und Abendbrot, wird den gesamten Tag durchgesnackt oder gefrühstückt, ganz bequem aus Schälchen und Schüsseln, oftmals nur mit dem Löffel. Gerichte wie Porridge oder Bowls, Granola, Overnight-Oats, Salate oder Smoothie-Bowls sind besonders beliebt. Das lässt sich unter anderem situativ aus dem pandemiebedingten Lockdown erklären. Jetzt nach der Pandemie haben die Menschen Lust auf Neues und da bietet sich die Vielfalt an Streetfood an. Auf der ganzen Welt essen Menschen auf der Straße, von Foodtrucks oder aus Garküchen. Man denke nur beispielsweise an koreanische Hot Dogs, Würstchen im Teigmantel oder Folded Tortillas, die von der französisch-belgischen Marke O-Tacos auch in Deutschland angeboten werden. Diese werden anders als gewöhnliche Wraps gefaltet und dann gegrillt, was ich zum Beispiel wesentlich schmackhafter finde als die kalte, oft langweilige Variante. Natürlich sind auch Burger mehr denn je ein Dauerbrenner.“ 

Angesichts der aktuellen Diskussion zur Novel-Food-Freigabe von Insekten zeigt sich Karin Tischer optimistisch: „Insekten werden auf jeden Fall kommen. In vielen Teilen der Erde gehören sie bereits zum alltäglichen selbstverständlichen Nahrungsangebot. Fein verarbeitet lassen sie sich sehr gut im Produkt einarbeiten und bieten so hervorragenden Proteinersatz. Verbraucher:innen sollten dem offener gegenüberstehen und das Thema weniger als Dschungelmutprobe betrachten.“

Regional statt Bio

Insekten als Proteinquelle stehen auch im Kontext der Nachhaltigkeit. Hier hat die Trendforscherin eine aufschlussreiche Erkenntnis – regional schlägt Bio: „Der Anteil an Bio-Lebensmitteln wird höher eingeschätzt, als es der Realität entspricht und ist gegenwärtig durch die Inflation sowie die Krisen wieder etwas rückläufig. Der Wunsch nach Bio-Lebensmitteln bleibt in Anbetracht des höheren Preises eben oftmals auch nur ein Lippenbekenntnis. Glaubhafte Regionalität hingegen steht für Authentizität, die hiesigen Erzeuger werden unterstützt und die Transportkilometer sind kurz. Das sind viele sinnvolle Aspekte, über die die Verbraucher:innen nachdenken.“

Wie sie in diesem Kontext Vertical Farming und Aquaponik bewertet, also den direkten Anbau von Gemüse in Supermärkten und Gastronomie? „Das ist sicherlich ein Leuchtturm und wichtig, aber vermutlich nicht die alleinige Lösung einer flächendeckenden Versorgung. Aber wenn bei der Franchise-Kette Peter Pane beispielsweise die Microgreens, wie Kresse, direkt im Restaurant angebaut werden, dann finde ich das eine gute nachhaltige Sache. Frischer geht es nicht“, lautet die Antwort.

Und womit kann man demnächst anstoßen? „Im Zuge der Gesundheitsoptimierung werden alkoholfreie Cocktails, sogenannte Mocktails, immer beliebter, wenn man zum Beispiel aktuell den Cheese Tea sieht, eine Teekreation mit aufgeschäumtem Frischkäse, die zuerst auf Tiktok, dann aber schon in der Gastronomie erschien, oder den Bumble Coffee, Espresso mit Orangensaft. Aber das sind kurzzeitige Moden.“

Für die Zukunft ist sich die Trendforscherin aber ziemlich sicher: „Die große Revolution und Veränderung findet gerade im Bereich der pflanzlichen Protein-Alternativen statt. Beispielsweise ist die Entwicklung von einem Steak oder einer Hähnchenbrust aus pflanzlichen Protein-Alternativen eine sehr große Herausforderung in Sensorik und Lebensmitteltechnologie. Die gelernten Rohwaren lassen sich nur sehr schwer nachbauen und ersetzen.“ Wir sind gespannt auf die nächsten Trends, über die wir dann hier berichten können.

Porträtfoto der Trendforscherin und Foodspezialistin Karin Fischer
Karin Tischer, Trendforscherin, Foodspezialistin – food & more, Kaarst
Foto: Hamburg Messe und Congress/Michael Zapf

Artikel-Teaserbild (oben): Magdalena Buja – stock.adobe.com

About Johannes

Johannes schreibt seit 2019 als Reporter für lebensmittelmagazin.de. Seine Themenschwerpunkte sind Lebensmittelhandwerk, Lebensmittelindustrie und Gastronomie und hier besonders Nachhaltigkeit und Trends. Zudem ist er für die Berichte vor Ort zuständig.

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